John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Freitag, 14. November 2014

Warum die globale Hegemonie der USA erhalten bleibt

Die USA wurden im 19. Jahrhundert zum reichsten Staat der Welt aufgrund einer glücklichen Fügung von Umständen. Zuallererst konnten mit der Bevölkerung die Institutionen aus der Alten Welt  in die Neue Welt übernommen werden. Die native Bevölkerung war durch Krankheiten ausgerottet worden oder stellte kein Hindernis dar. Die ersten Gründungen waren reine Exportniederlassungen der Ausbeutung vorhandener natürlicher Reichtümer für den europäischen Markt:  Holz, Fisch, Walöl, Tabak oder Baumwolle. Dies war zu Beginn ein mühseliges Unterfangen. Großbritannien war 1776 der Schutz der einträglichen karibischen Plantagen wichtiger als die Abhängigkeit der relativ unbedeutenden neuen Staaten auf dem Kontinent. Aber es bestanden global einmalige Treibhausbedingungen für den wirtschaftlichen Aufschwung im Industriezeitalter. Sie liessen die Wirtschaft besser gedeihen als in den Mutterländern. Zu diesen  Bedingungen gehörten:

* mehr schiffbare Flüsse und Häfen als im Rest der Welt zusammen genommen, d.h. um Größenordnung geringere Transport- und Transaktionskosten,
* höhere Produktivität der Landwirtschaft: wie kürzlich herausgefunden wurde, ist die Photosynthese im mittleren Westen der USA global am intensivsten, d.h. eine Einheit Arbeit bringt einen höheren und stabileren Ertrag als anderswo in der Welt,
*  glückliche geographische Fügungen, wie die langfasrige Baumwolle, die im Unterschied zur indischen maschinell verarbeitet werden konnte, oder die Walindustrie, die den Boden für die Erdölindustrie vorbereite,
* die geographische Lage zwischen zwei Weltmeeren und die Abwesenheit von militärischen Gegnern, die ein ständige Herausforderung  für europäische Staaten waren und umfangreiche Kapazitäten banden,
* die Größe des entstandenen Binnenmarktes und den damit einher gehenden Vorteilen der Massenproduktion.

Mit dem Bürgerkrieg 1861 - 1865 fand ein Paradigmenwechsel statt, von der hocheffizienten Plantagenwirtschaft, die auf Sklavenarbeit beruht und für den Weltmarkt produziert, zu den industriellen Wachstumsquellen für den Binnenmarkt, beruhend auf freier Lohnarbeit. Für die kommenden Jahrzehnte konzentrierte sich das Land vorwiegend auf sich selbst.

Selbst der Eintritt in den Ersten Weltkrieg änderte daran nichts - die USA zog sich nach dem missglückten Versailler Vertrag aus den europäischen Angelegenheiten zurück und strukturierte ihre eigene Peripherie, wobei der Unterschied zu den traditionellen Kolonialmächten eher im Bereich der  liberaleren Rhetorik lag.

Inzwischen war global mit dem ersten Weltkrieg eine Trendwende im Wirtschaftswachstum erfolgt. Die Globalisierung erreichte einen Höhepunkt um 1914, ging nach der Weltwirtschaftskrise abrupt zurück und erreichte den damaligen Stand erst wieder in den letzten Jahren. Revolutionäre Durchbrüche in Technologie, Wissenschaft und Technik hatten eine Vorlauf erzeugt, der für viele Jahrzehnte ein Potential für Wirtschaftswachstum erzeugte. Russland, eine territoriale Großmacht an der europäischen Peripherie, entwarf eine alternatives Gesellschaftsmodell, importierte massiv Technik für den Aufbau seiner weitestgehend geschlossenen Volkswirtschaft und konnte nicht nur gestärkt aus dem 2. Weltkrieg herausgehen, sondern in den kommenden Jahrzehnte auch den Rest der Welt trotz unzureichender wirtschaftlichen Entwicklung in einem Systemwettbewerb herausfordern.

Auch für die USA erwies sich der staatlich-vermittelte Impuls zur Massenproduktion auf der Grundlage des bestehenden technisch-ökonomischen Paradigmas infolge des  2. Weltkrieg als segensreich. Er erlaubte, die Weltwirtschaftskrise und die depressiven 1930-er Jahre endgültig vergessen zu lassen. Über Nacht stellte sich heraus, dass die USA nun fast die Hälfte aller industriellen Gütern auf unserem Planeten produzierte.

Mit dieser Dominanz war die früheren Selbstbegrenzungen obsolet. Die USA kehrte auf die globale Arena unter einem neuen Vorzeichen zurück und begann, die Nachkriegsordnung zu strukturieren. Nach einer kurzen Zeit des Suchens gab die Auseinandersetzung mit dem Kommunismus der Politik Struktur und Richtung. Die Unterstützung für Westeuropa und Westdeutschland war politisch gewollt und erwies sich überraschend als wirtschaftlich erfolgreich. Verbündete der Eindämmungspolitik konnten auf Kredite und Marktzugang hoffen. Neben Japan gelang auch asiatischen Ländern wie Südkorea und Taiwan der Aufstieg, im Unterschied etwa zu den Ländern Lateinamerikas, die keine ähnlichen Privilegien im globalen Marktgeschehen hatten.

Unter dem Damoklesschwert einer nuklearen Auseinandersetzung bestand für Jahrzehnte ein - aus heutiger Sicht - goldenes Zeitalter des Kapitalismus.

Schon vor der Implosion der Sowjetunion deuteten sich erneut ein Paradigmenwechsel an. Das Industriezeitalter geht seinem Ende entgegen und nimmt den Weg der Landwirtschaft, in der heute in den entwickelten Ländern weniger als 1 % der Bevölkerung beschäftigt sind. Dabei kommt es zu überraschenden Wendungen. Informationstechnologien und Durchbrüche in der Logistik ermöglichten das Outsourcen arbeitsintensiver Tätigkeiten aus den USA und später allen anderen traditionellen Industrieländern. Neue Konzepte entstanden, wie die "factoryless production". Der Aufstieg Chinas begann. Heute vereint das Land, dass im Pro-Kopf BIP auf der 68. Stelle in der Welt steht, etwa die Hälfte der globalen industriellen Produktion und hat nach Kaufkraftparität mit den USA aufgeschlossen.

Bedeutet dies das Ende der wirtschaftlichen und damit langfristig auch der politischen Hegemonie der USA? Beginnt wieder eine Periode der Begrenzung auf den Binnenmarkt, wie nach dem Bürgerkrieg im 19. Jahrhundert? Ziehen sich die USA von globalen Angelegenheiten für die kommenden Jahrzehnte zurück? Nimmt der Unmut über eine US-dominierte Weltwirtschaft an Stärke zu, so dass sich die Spielregeln der so erfolgreichen wie widersprüchlichen letzten Jahrzehnte radikal ändern?

Nach wirtschaftliche Logik und der bestehenden Indizienlage ist die Antwort ein eindeutiges Nein, auch wenn sich die Art und Weise wirtschaftlicher Dominanz in einer Umbruchphase befindet und die zukünftigen Konturen nicht vollständig abzusehen sind. Zwar sind Perioden  des relativen Rückzuges nicht ausgeschlossen, aber dies werden eher Übergänge zu einem neuen  asymmetrischen Gleichgewichten zwischen den USA und dem Rest der Welt als eine Neudefinition der Weltwirtschaft, wie wir sie kennen, sein.

Wirtschaftliche Logik: Heterogene menschliche Aktivitäten gehen mit Unterschieden in Produktivität und Wertschöpfung einher. Seit es globale Märkte gibt, werden diese Unterschiede auch weltweit strukturiert. Besonders Basisinnovationen für Technologie und Institutionen benötigen Ressourcen. Kein anderer Staat verfügt gegenwärtig auch nur annähernd über die Möglichkeiten und Kapazitäten wie die USA. Der technologische und geopolitische bedeutsame Durchbruch beim Fracking ist hier nicht mehr als ein Puzzleteil in einem komplexen Bild. Die gegenwärtige Diskussion um die säkuläre Stagnation zeigt, dass die Art und Weise des technologischen Fortschritts als unzureichend empfunden wird. Vielleicht stehen wir aber am Vorabend eines weiteren technologischen Paradigmenwechsels oder es sind institutionelle Hemmnisse, siehe die Piketty Diskussion, die Wachstums behindern. Wie schon die Kolonialmächte vor Hundert Jahren erfahren mussten, ist auch die militärische Komponente einer globalen Weltordnung nur von begrenzter Effizienz. Nur, institutionellen Hemmnisse werden nach einiger Zeit überwunden. Sollte wieder ein Plateau in der Technologie erreicht sein wie vor 100 Jahren, dann haben die USA einen deutlichen Vorsprung, der auch nicht in wenigen Jahren oder Jahrzehnten von Mitbewerbern aufgeholt werden kann.

Indizien: Die USA führen nicht mehr in der Massenproduktion von arbeitsintensiven Gütern, aber ihre Dominanz in anderen Bereichen, die für die Wertschöpfung ausschlaggebend sind, ist nicht geringer, sondern eher größer geworden. In einer ungebrochenen Linie seit dem letzten Jahrhundert spielen die USA in einer eigenen Liga und sind - in einer klassischen Win-Win-Situation - nach wie vor als Speerspitze der Weltwirtschaft positioniert.

Die globaler Wertschöpfung wird von US-amerikanischen Großunternehmen angetrieben. Das Internet nimmt trotz aller Vernetzung und Vereinfachung des Austausches neokoloniale Strukturen an. Die Dominanz der Informationsbeschaffung durch Geheimdienste ist historisch einmalig. Die globale Rolle des USD und des US-Staates bei der Finanzregulierung sind seit der globalen Finanzkrise 2008 gestiegen und stellen Eingriffe in die Souveränität von anderen Staaten dar, die noch vor wenigen Jahren unvorstellbar waren.

Dabei ist klar: eine stabile postindustrielle Weltordnung weist andere und weit komplexere Mechanismen und Wechselbeziehungen auf als die gegenwärtigen Strukturen, die vorwiegend vor 70 Jahre geschaffen wurden. Der notwendige Umbruchprozess wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen und von mehr Übertreibungen, Zuspitzungen und Blasen getrieben werden als wir es bisher gewohnt sind. So wie der erste Hegemon, England, anders als sein Nachfolger, die USA war, so wird auch der zukünftige Hegemon völlig andere Charakteristika aufweisen, auch wenn diesmal kein Wechsel des Landes erfolgen wird.

Die USA als Teil der Weltwirtschaft ist eingebettet in einen globalen Zusammenhang, wie jeder andere Staat auch. Sie entstand als Ausdruck der globalwirtschaftlichen Entwicklung und wurde durch sie unmittelbar geprägt, auch wenn der direkte Einfluss in den verschiedenen Entwicklungsphasen durchaus unterschiedlich war.

Die Annahme, dass die USA auch weiterhin Hegemon in der Weltwirtschaft bleiben wird, scheint daher ein produktiverer Ansatz zu sein als die Voraussage ihres Niederganges.

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