Chinas
Wirtschaftswunder ist mit fast zweistelligen Wachstumsraten über 30 Jahre beispiellos.
Von 2.2 % der globalen Wirtschaftsleistung im Jahre 1980 hat es inzwischen fast 20 % erreicht. Das Land hat 680 Millionen Menschen aus extremer Armut befreit und einen relevanten Beitrag zu den Millenniumszielen geliefert. Das Pro-Kopf-Einkommen
Chinas beträgt inzwischen 6000 USD PPP je Einwohner, 17 Städte mit mehr als 3
Millionen Einwohnern (etwa 11 % der Gesamtbevölkerung) haben die Schwelle zu
einem Hochlohnland überschritten (12 616 USD nach der Klassifikation der
Weltbank). Zusammen mit den USA (Chimerica) ist China eines der Motoren des
globalen Wachstums und Quelle von Wohlstandssteigerung wie die weltweit
gesunkene Inflationsrate. Mit der Integration vom Millionen von Arbeitskräften
in den Weltmarkt hat es die Balance zwischen Arbeit und Kapital global
verändert.
Nun mehren sich
die Anzeichen, dass sein export-, arbeits-, investitions- und umweltintensives Wirtschaftsmodell
mit einem Fragezeichen versehen wird. Probleme akkumulieren sich schneller als Möglichkeiten.
Seien es menschenleere Geisterstädte, Umweltschäden, die bis zu 9% des
Wirtschaftsleistung kosten, ein abnehmendes und alterndes Arbeitskräftereservoir
und steigende Lohnkosten, zunehmender politischer Widerstand auf den
internationalen Märkten oder die Reindustrialisierung des Westens. Der Höhepunkt der Lebenskurve des chinesischen Wirtschaftswunders ist überschritten. Der Konsens im In- wie im Ausland ist einmütig: China braucht
ein neues, ein konsum- und servicegestütztes Wachstumsmodell, um seine
Erfolgsgeschichte fortzuschreiben. Die chinesische Führung stellt sich der
Herausforderung, sucht aktiv den Dialog. Denkschulen,
Organisationen und Wissenschaftlern beteiligen sich an der Diskussion. Kaum eine
Woche, dass nicht ein neues Buch erscheint. Die Suche nach den richtigen
Reformen, die diesen Übergang ermöglichen und die Fortsetzung des hohen
Wachstums garantieren, entwickelt sich zum heiligen Grad der wirtschaftlichen
Analyse.
Die häretische
Frage ist: Gibt es ein solches neues Wachstumsmodell? Können wir mit
ausreichender Sicherheit ein vergleichbares Kosten-Nutzen-Verhältnis für ein
neues Wachstumsmodell voraussetzen? Ist weiteres Wachstum möglich, dass China
zur größten Wirtschaftsmacht werden lässt, dass sich in wenigen Jahrzehnten,
gleichsam im Durchmarsch, von einem Entwicklungs- zu einem Hochlohnland, zu
einer Wissens- und Serviceökonomie entwickelt? Ist China anders als der Rest der Welt, die viele Anläufe,
Jahrzehnte an politischen Reifeprozessen, Strukturkrisen und Reformen benötigt
und dabei doch nur eine gemischte Erfolgsbilanz aufweist?
Die Annahme ist
weit geteilt, dass dies möglich ist. Stellvertretend kann auf das IMF verwiesen werden, das Wachstum von durchschnittlich 6 % prognostiziert, wenn
die richtigen Reformen umgesetzt werden. Siehe auch Goldmann Sachs oder die OECD. Selbst Präsident Barak Obama thematisierte den Aufstieg Chinas als eine der "offensichtlichen" Herausforderungen der USA (hier und hier).
Ein alternatives
Narrativ ist, dass das bisherige chinesische Wachstumsmodell ein besonderer
historischer Glücksfall war und ein neues, vergleichbares Modell vielleicht
nicht unmöglich, aber doch sehr unwahrscheinlich ist. Zwar sind politische Gestaltungsmöglichkeiten
vorhanden, sie dürfen aber nicht überschätzt werden. Das chinesische Wachstumsmodell ist im Auslaufen begriffen (Paul Krugman), der Lewis-Punkt ist erreicht, nun folgt nolens volens ein Tränental.
Was sind die Besonderheiten
des bestehenden Modells? Erfolgsfaktor ist das spezifische Zusammenspiel von
äußeren und inneren Faktoren, die Einbettung in die internationale
Arbeitsteilung im Zusammenwirken mit der nationalen Wirtschaft. Stark
vereinfacht stellt China seine Arbeitskräfte ausländischen, vorwiegend US-
Unternehmen für globale Märkte zur Verfügung (Walmartisierung), die bei
geringer Wertschöpfung bis zu 80 % des Exports kontrollieren. Der
amerikanische Markt ist offen, weil der Nutzen für die USA entgegen aller
Rhetorik über manipulierte Währungskurse hoch ist. Das Außergewöhnliche des
chinesischen Modells ist die hohe Globalisierungsdividende für das nationale Wachstum.
Sie hat eine Katalysatorrolle für einen sich seit Jahrzehnten selbst tragenden
Wirtschaftsaufschwung und verbindet in einer besonderen Art und Weise den Staat
und das Machtmonopol der kommunistischen Partei mit der Bereitstellung einer
öffentlichen Infrastruktur, dem Funktionieren von staatlichen Großunternehmen und
einem dynamischen privaten Sektor.
Die
Herausforderung ist, dass institutioneller Reformbedarf bei allen Elementen des
bisherigen Modells besteht, die Gesellschaft aber nur dann einen
überdurchschnittlichen Wachstumskurs erreicht, wenn sie – wie bisher – optimal
zusammen wirken. Dies kann an drei Komponenten näher beschrieben werden.
Innere Faktoren: Marktwirtschaftliche Reformen wie Rückzug des
Staates und Stärkung der Eigentums- und Investorenrechte sind notwendig, dürfen
aber nicht zu sehr zu Lasten des Staatssektors gehen, um politische
Instabilitäten zu vermeiden. Keiner weiß, wo die richtige Balance ist. Vor 30
Jahren wurden die notwendigen institutionellen Innovationen durch regionale
Experimente herausgefunden. Kann dies wieder gelingen? Ein aktiver Such- und
Findungsprozess findet statt, der aber bisher eher dem alten Modell verhaftet ist, wie die Verlagerung von Aktivitäten aus den
boomenden Küstenregionen in das Landesinnere oder die Eröffnung der Shangheier
Freihandelszone.
Die öffentliche
Infrastruktur weist Modernisierungsinseln auf (Schnellzüge, Flug- und Seehäfen,
Raumfahrtprogramm), die an weiße Elefanten erinnern und ihre Kosten nicht
einspielen können. In der bisherigen Logik waren sie politisch wie
wirtschaftlich sinnvoll. Im neuen Wachstumsmodell müssen die Rechnungen
auf diese oder jene Art und Weise bezahlt werden. Das Verhältnis der arbeitsfähigen Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung hat sein Maximum überschritten, China wird alt, während es arm bleibt.
Das Monopol der
kommunistischen Partei verfügt trotz jahrzehntelanger Verkrustungen über eine
hohe Legitimität. Sollten Veränderungen unumgänglich sein, so ist hoher politischer Druck erforderlich, was unweigerlich die
wirtschaftliche Dynamik über einen längeren Zeitraum beeinflusst.
Äußere Faktoren: China verdankt einen Exportschub zu Beginn der Nuller Jahre der Mitgliedschaft im WTO, seither ist es von regionalen
Handelsabkommen ausgeschlossen, wie dem Trade in Service Abkommen, das
Trans-Pazifische Handelsabkommen und das Transatlantische Handels- und
Investitionsabkommen. Am Beispiel der US-Kongressanhörungen zur
Währungsmanipulation verfügen die USA über ein flexibles Instrument, Nutzen und
Kosten der Zusammenarbeit mit China stets neu zu überprüfen und, falls
erforderlich, anzupassen.
Globale Arbeitsteilung: Mit dem Aufschwung Chinas verbindet sich eine Neudefinition
der globalen Arbeitsteilung. Industrieproduktion wanderte in Schwellen- und
Entwicklungsländer. Die Wertschöpfung verblieb weitestgehend im Westen und
finanziert den Übergang zur Wissensgesellschaft. Informations- und
Biotechnologien und potentielle innovative Durchbrüche wie das 3-D-Drucken werden
die Dynamik der globalen Arbeitsteilung wieder beeinflussen. Es ist unklar, ob
China wiederum ein Angebot machen kann, dass von den Weltmärkten als gewinnbringend akzeptiert wird.
Plausibler
erscheint – auf mittelfristiger Sicht - ein anderes Szenario: trotz aller
politischen Bemühungen sinkt die Effektivität des bestehenden Modells und
Versuche, neue, ergiebige Wachstumsquellen zu erschließen, misslingen. China
entdeckt Alternativen zur bestehenden kompromisslosen Wachstumsorientierung und holt strukturelle Versäumnisse nach. Eine langjährige japanische Wachstumspause ist nicht
ausgeschlossen. China wird normal werden und keine Projektionsfläche für einen Gral unendlicher wirtschaftlicher Dynamik bieten.
Update 1:
Eine vergleichbare historische Sicht hat Josef Joffe in: „China’s Coming Economic Slowdown“, The Wall Street Journal und in seinem neuen Buch "The Myth of America's Decline" (Amazon)
Update 2:
Lant Pritchett und Lawrence Summers von der Harvard University untersuchen Chinas Wachstumsdynamik: "Asiaphoria Meet Regression to the Mean". Sie kommen mit statistischen Methoden zu den folgenden Schlußfolgerungen: "China’s super-rapid growth has already lasted three times longer than a typical episode and is the longest ever. The ends of episodes tend to see full regression to the mean, abruptly." (Seite 34).
Update 3: Der "The Economist" lädt dazu ein vorherzusagen, wann China die USA überholt und weist in seinem special report auf verschiedene Ungleichgewichte hin. Ein Beispiel: Die 50 reichsten Mitglieder des chinesischen Nationalen Volkskongress sind um den Faktor 50 (!) reicher als ihre Kollegen im US Kongress. Dies wirkt sich auf Reformeifer und Reformrhetorik (siehe eine Analyse hier) aus. Bei den Munkdebates sehen 62 % der Teilnehmer kein chinesisches 21. Jahrhundert.
Eine vergleichbare historische Sicht hat Josef Joffe in: „China’s Coming Economic Slowdown“, The Wall Street Journal und in seinem neuen Buch "The Myth of America's Decline" (Amazon)
Update 2:
Lant Pritchett und Lawrence Summers von der Harvard University untersuchen Chinas Wachstumsdynamik: "Asiaphoria Meet Regression to the Mean". Sie kommen mit statistischen Methoden zu den folgenden Schlußfolgerungen: "China’s super-rapid growth has already lasted three times longer than a typical episode and is the longest ever. The ends of episodes tend to see full regression to the mean, abruptly." (Seite 34).
Update 3: Der "The Economist" lädt dazu ein vorherzusagen, wann China die USA überholt und weist in seinem special report auf verschiedene Ungleichgewichte hin. Ein Beispiel: Die 50 reichsten Mitglieder des chinesischen Nationalen Volkskongress sind um den Faktor 50 (!) reicher als ihre Kollegen im US Kongress. Dies wirkt sich auf Reformeifer und Reformrhetorik (siehe eine Analyse hier) aus. Bei den Munkdebates sehen 62 % der Teilnehmer kein chinesisches 21. Jahrhundert.
"...vorherzusagen, wann China die USA überholt..."
AntwortenLöschenNicht länger nötig:
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/05/03/china-ueberholt-usa-als-nummer-eins-der-weltwirtschaft/
...eine Lehre, die ich aus der Geschichte ziehe: "Imperien" zerbrechen an ihrem schieren "Größenwahn". Boomerities als krankhaftes Wachstum verleitet dazu äußere und innere Grenzen zu überdehnen. Übertreibungen werden so oder so durch die Konfrontation mit nachhaltiger wirkenden Realitäten korrigiert. Übertriebene Beschleunigung beim Wachstum ähneln dem Krebswachstum. Parasitär wirkender Krebs zerstört zwar (relativ geschlossene) Systeme. Allerdings um den Preis der Selbstvernichtung durch eintretenden "Nahrungsmangel".