John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Montag, 5. Mai 2014

Warum modernisiert Russland nicht die eigene Wirtschaft?

Zusammenfassung
Die internationalen Sanktionen treffen die russische Wirtschaft. Auch die Kosten für die Eingliederung der Krim in das russische Staatsgebiet sind erheblich. Diese Mittel stehen für dringend erforderliche Strukturreformen und Modernisierungen der russischen Volkswirtschaft nicht zur Verfügung. Das Land befindet sich im nationalistischen Taumel. Aus westlicher Sicht schadet sich Russland damit selbst. Warum verhält sich das Land scheinbar so irrational?

Wir sehen  die Ursachen in einem für Russland spezifischen Kosten-Nutzen-Verhältnis von Strukturreformen. Einflussfaktoren sind historische Pfadabhängigkeiten, die Art und Weise der Wechselwirkung mit der Weltwirtschaft sowie der Lebenszyklus des nationalen Wirtschaftsmodells. 


Aus EU-Sicht ist eine Deeskalation der ukrainischen Krisis zu fast jedem Preis notwendig. In Russland ist eine politische Pendelumkehr absehbar nachdem die gegenwärtige nationale Euphorie abgeklungen ist.

Geschichtliches 
Russland war die letzte europäische Großmacht bei der Industrialisierung. Es befand sich – und befindet sich de facto bis heute – im Mittelfeld der wirtschaftlichen Entwicklung. So hat es einerseits einen deutlichen Abstand zur technologischen Grenze. Andererseits verfügte es über eine souveräne wirtschaftliche Entwicklung und wurde nicht wie der Rest der Welt infolge der europäischen und später US-amerikanischen Wettbewerbsfähigkeit deindustrialisiert oder in politische Abhängigkeiten und fragile Wachstumspfade gedrängt.

Der vielleicht wichtigste Einzelfaktor für die Entwicklung Russlands ist die geographische Ausdehnung. Ähnlich wie die Insellage Englands bot sie militärischen Schutz. Sie ermöglichte das ungestörte „Sammeln der russischen Erde“ im 19. Jahrhundert. Das Zarenreich bildete innere Kolonien, auch wenn diese längst nicht so ertragreich waren wie die Karibik nach den Großen Geographischen Entdeckungen.

Historisch wurde nach dem Durchbruch zur Industrialisierung die Größe des Binnenmarktes ein wichtiger Entwicklungsfaktor. Deutschland überholte England, ab 1870 waren die USA die größte Volkswirtschaft. Auch Russland profitierte von seinem enormen Binnenmarkt, der dazu durch schlechte Transportbedingungen von den Weltmärkten weitestgehend geschützt war. Skaleneffekte setzten ungehindert ein.  Trotz relativer technischer Rückständigkeit brachen  Konzentrationsgrad und Zentralisierung in der Industrie alle weltweiten Rekorde. Die damit verbundenen Produktivitätssteigerungen in der Industrie kontrastierten mit einem rückständigen, feudal geprägten Land. Nach dem ersten Weltkrieg konnte der absolutistische Staat die unterschiedlichen Impulse aus industrieller Hypermodernität und agrarischer Rückständigkeit nicht mehr vermitteln und zerbrach in Krieg und Bürgerkrieg.

Kontinuität und Modernisierung in der Sowjetunion
Im entstandenen Machtvakuum setzten sich die Kommunisten mit einem planwirtschaftlichen Gesellschaftsentwurf knapp durch. Nach einer Experimentierphase mit der „Neuen Ökonomischen Politik“ in den 1920-er Jahren setzten sie auf eine umfassende von-oben induzierte, nachholende Industrialisierung des Landes. Faktisch erschöpfte sich damit auch der Modernisierungsimpuls. Extensives Wachstum setzte ein. Strukturinnovationen fanden bis 1990 de facto nicht statt. Bis zum Untergang des Landes wurden Produkte und Technologien durch neue Fabriken eingeführt, institutionelle Reformen und  Restrukturierungen waren im System schlicht nicht vorgesehen. Bei der Implosion der Sowjetunion 1990 hatte das Land nach den Maßstäben der 1930-er Jahre die vielleicht effizienteste Volkswirtschaft auf der Erde, die aber nach den Kriterien der 1990-er Jahre genauso hoffnungslos veraltet war.




Als Wirtschaftsmodell erreichte das sowjetische Gesellschaftsmodell seinen Höhepunkt in den 1960-er Jahren. Der Verzicht auf rechtsstaatliche und marktwirtschaftliche Institutionen setzte umfangreiche Ressourcen frei, die den Kalten Krieg mit den wirtschaftlich weit überlegenen USA und ihren Verbündeten finanzierte und jahrzehntelang eine gesellschaftliche Alternative zur Marktwirtschaft und Demokratie bot. Dazu gehörte auch die Subvention von technischen Höchstleistungen wie die Raumfahrt, die wenig Einfluss auf die Wertschöpfung des Landes nahm, aber sich der politischen Logik des Kalten Krieges und der nationalen Identitätssuche als Alternative zum Kapitalismus beugte. In den 1970-er Jahren wurde steigender Wohlstand durch den beginnenden Export von Energieträgern gesichert. Die 1980-er Jahre gingen als die Stagnationsperiode in die Geschichte ein.

Der politische Zyklus Jelzin-Putin 1990 – 2017 (?)
Wie 1917 begann ein neuer politischer Zyklus 1990 mit einem weitgehenden Staatszerfall und einer Reformphase von Versuch und Irrtum. Um im globalen Wettbewerb zu bestehen, mussten neue Institutionen aufgebaut und Verbindungen geknüpft werden. Einen Marshallplan oder auch nur einen Schuldenverzicht durch die westliche Welt gab es nicht. Das unausweichliche Resultat war ein beispielloser Rückgang der Wirtschaftsleistung in Friedenszeiten. Auch in anderen ehemaligen  sozialistischen Ländern konsumierte der Übergang zur Marktwirtschaft etwa zehn Jahre der wirtschaftlichen Entwicklung, in Deutschland wurde ein Break-even bei den Steuereinnahmen 1992 erreicht. 

Eine einfache Quelle der Integration in die Weltmärkte bot der Export von Rohstoffen und Energieträgern. Eine Folge des extensiven Wachstumsmodells aus vergangenen Zeiten war, dass zum Ende der Sowjetunion der Wert der geförderten Rohstoffe und Energieträger nach Weltmarktpreisen das nationale BIP um das Doppelte überstieg. Die Integration in die Weltmärkte bot der neuen russischen Unternehmerschaft wie auch ihren westlichen Abnehmern ein beispielloses Kosten-Nutzen-Verhältnis. Dies war die Geburtsstunde der Oligarchen und ihres über Nacht entstandenen Reichtums.

Mit dem Staatsbankrott 1998 und der ersten Präsidentschaft Puntins setzte ein Wendepunkt ein. In der innenpolitischen Auseinandersetzung konnten die Eliten aus den Geheimdiensten und paramilitärischen Strukturen (силовики) der wirtschaftlichen Macht der  Oligarchen die Stirn bieten. Chodorkowski, der eine rote Linie in der Politik und beim Ausverkauf von strategischen Ressourcen in den Westen überschritt, wurde enteignet. 




Der Anstieg der Erdölpreise von 10 USD auf 140 USD je Barrel verhalf dem Staatshaushalt zu unverhofften Einnahmen. Ein Wirtschaftsaufschwung begann, der Staat konsolidierte sich auf neuer Grundlage. Russland erlebte eine goldene Phase seiner Entwicklung. Die Reallöhne stiegen um bis das Zehnfache (!). Umfangreiche soziale Leistungen konnten finanziert werden und verschiedene Modernisierungen wurden in Angriff genommen.

Zugleich werden die Grenzen des Geschäftsmodells sichtbar. Der Rohstofffluch prägt das Geschehen: Im Vergleich mit dem lukrativen Export von Energieträgern ist das Kosten-Nutzen-Profil von institutionellen Reformen anspruchsvoll. Weder bestehen Erfahrungen, Traditionen und Mentalitäten, auf die man aufbauen könnte, noch politische Unterstützung in der Form einer kritischen Masse an reformorientierten Unternehmern. Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bedroht das bestehende Geschäftsmodell und die Gruppe von Geschäftsleuten um Putin ohne eine positive Alternative zu bieten. Wie überall in der Welt ist im politischen Parallelogramm ausbleibendes Wachstum aufgrund verschleppter Strukturreformen ein geringeres Übel als der Verlust an bestehenden Pfründen. Strukturreformen bleiben bis heute aus und damit ist Wachstum mehr und mehr limitiert.

Die Abhängigkeit vom Rohstoffexport steigt seit 1998. Es gibt wenig Anreize, sich um Kooperation und Zusammenarbeit zu bemühen. Das  folgende Diagram visualisiert den Zusammenhang zwischen Ölreichtum und Kooperationsorientierung (unbalanced globalization of oil-rich states). 


Quelle, KOF Index of political globalization
Es ist ein  Puzzlestück des komplexen Ganzen, das verdeutlicht, wie wirtschaftlichen Realitäten, die im Westen Wohlstand und Stabilität schaffen, in Russland eine völlig andere Rationalität haben. 

Das russische Geschäftsmodell hat seinen Höhepunkt überschritten. Ein Aufbegehren der urbanen Mittelschichten im Dezember 2012 konnte schnell unterdrückt werden. Der Staat reagiert zunehmend autoritär. Ausländische Hilfsorganisationen wurden verboten, Repressalien gegen Minderheiten verschärft. Der ehemalige Reformer und Demokrat Putin hatte sich grundlegend gewandelt und folgt damit zahllosen Vorbildern in autoritären Regierungsformen.

In diesem Kontext kann eine Logik im Verhältnis zur Ukraine gesehen werden. Nach einer Vielzahl von außenpolitischen Niederlagen reizt Putin die ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel aus, selbst wenn sie negativer Natur sind und langfristig die Reputation und die Wirtschaft des Landes unterminieren. Russland hat kein attraktives Wirtschaftsmodell für die Ukraine, aber infolge der engen Verflechtung mit dem Brudervolk hat es  ein informelles Vetorecht und kann jede ungewünschte Entwicklung verhindern.

Mit dem Abenteuer Ukraine entzündete Putin ein politisches Strohfeuer, die das kommende Ende seiner Präsidentschaft einleitete. Im komplexen Geschehen der russischen Politik ist sein politisches Überleben keineswegs sicher. Noch ist seine Popularität ein Schutzschild. Sobald sich die Lage beruhigt hat werden die Unzulänglichkeiten seines Gesellschaftsmodells zutage treten. Dann wird in einem neuen politischen Zyklus erneut ein Fenster der Möglichkeiten für Strukturreformen bestehen. Ein tiefer Blick in die Glaskugel gibt einen Zeitraum von drei Jahren bis zu einem politischen Umschwung mit dem Entstehen eines neuen Wirtschaftsmodells. 

Ausblick: Wie soll die EU reagieren
Fast möchte man meinen, dass der Westen in eine politische Falle geraten ist und sich beim Engagement in der Ukraine weit unter Wert verkauft hat: Die Ukraine steht vor dem Staatszerfall und ist für erfolgreiche marktwirtschaftliche und demokratische Reformen auf absehbare Zeit zu schwach. Über ihr schwebt das russische Damoklesschwert von erratischen Handlungen, eine beispiellose staatstragende Propaganda und ein Hurra-Patriotismus, der schon längst überwunden schien. 

Die EU ist mit internen Reformen beschäftigt. Mit dem Assoziierungsabkommen hat sie den handwerklich ungeschickten Versuch unternommen, den eigenen Einflussbereich ohne die erforderlichen Investitionen  auszubauen.  Für die Perspektive  einer ukrainischen EU - Mitgliedschaft  - der einfachste Weg der staatlichen Stabilisierung – fehlen die Mittel,  die politische Entschlossenheit und die institutionelle Reife. Die EU hat, einfach gesagt, ihren geopolitischen Einflussbereich überdehnt und sollte nun Schadensminimierung betreiben.

Für die USA scheint sich das Engagement in der Ukraine in die Reihe der glücklosen Interventionen einzufügen, die vom Irak und Afghanistan zu Syrien und der Staatsgründung im Südsudan reicht. 

Umso wichtiger ist es, auf die Provokationen der russischen Seite angemessen zu reagieren, umfassend Deeskalation zu betreiben und einen langfristige Sicht auf die gegenwärtigen Zuspitzungen zu bewahren. 

Das westliche Wirtschaftsmodell hat viele Vorteile. Dazu gehört die Fähigkeit zu lernen, ohne dass dabei ein ganzer Staat in den Abgrund gerissen wird, Grenzen des eigenen Einflusses anzuerkennen und Ideologie nicht mit Realpolitik zu verwechseln. Russland modernisiert und entwickelt sich seit über 150 Jahren in einer eigenen Dynamik, die beeinflusst, aber nicht vorgeschrieben werden kann. Dies gilt es zu akzeptieren. 

Update 7. Mai 2014

New Republic weist zu Recht darauf hin, dass "Trying to win the Ukraine could lead to its collapse", da Staatszerfall immer das größter Übel ist. Hat Europa zu wenig Erfahrung in der Geopolitik? Hier verweist sie darauf, dass die kommenden Wahlen am 25. Mai zunehmend irrelevant werden. 

"The New Yorker" antwortet nicht auf die Frage: "Is Vladimir Putin a rational actor?"


Das oben skizzierte Verständnis Russlands folgt die „Foreign policy“ in „Kicking Putin off the Island“und thematisiert die Möglichkeiten des Westens in einer Nach-Putin-Ära, auch wenn sie in den vergangen 14 Jahren weniger eine innere Logik als verpasste Chancen sieht.















Donnerstag, 1. Mai 2014

Die Rolle der EU und der ukrainische Staatszerfall


Es ist ein historisches Ereignis in unmittelbarer geographischer Nähe: der Staatszerfall der Ukraine setzt sich fort. Am 21. Februar wurden Neuwahlen vereinbart, dieser mit internationaler Unterstützung erzielte Vertrag hielt nur wenige Stunden. Seitdem hat die Ukraine ein Teil ihres Territoriums, die Krim, wohl für immer verloren. Inzwischen entgleitet auch die Kontrolle der Regierung über den Südostens. Die Wahlen am 25. Mai, auf die die EU große Hoffnungen setzt, sind gefährdet, damit die Aussicht einer legitimen Regierung.

Die Rhetorik der EU und Russlands läuft ungemindert weiter. Das Genfer Abkommen wird von allen Beteiligten unterschiedlich interpretiert und geschlossen nicht eingehalten. Russland zündelt rhetorisch und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit Sonderkräften vor Ort. 


Wie die Diskussion im ARD am 30. April zeigt, sieht sich Deutschland nach wie vor im Recht, der Bitte der ukrainischen Regierung entgegen zu kommen, um Militärmissionen zu senden und die eigenen Handlungen mit den Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit, dem Völkerrecht  und die territoriale Integrität zu begründen. Formell richtig.


In einem Staatszerfall wirken andere Kräfte und besteht eine Eigendynamik, die von einem Punkt ab von keinem der Parteien mehr kontrolliert werden kann. Staatszerfall ist der politische GAU, bei der das Fundament einer Gesellschaft zerstört wird.  Die territoriale Integrität und das Völkerrecht sind nur so stark, wie es von handlungsfähigen Akteuren durchgesetzt werden kann. Mit dem Reiten auf Prinzipien außerhalb des historischen Kontextes wird die EU selbst zur Partei und leistet, mindestens indirekt, einen Beitrag zur Destabilisierung.


Wie sehen die Maßnahmen zur Stabilisierung der Ukraine aus? Details vom IMF-Programm (FAZ) sind kaum bekannt, insbesondere bei der anspruchsvollen Abfolge von Subventionskürzungen und sozial flankierenden Maßnahmen. Im Raum stehen Kürzungen der Subventionen für Energieträger und der Renten um das doppelte Defizit im Haushalt und der Leistungsbilanz zu verringern. Die Deutsche Beratergruppe Ukraine fordert mit der „Economic Reform Agenda Ukraine“ im März 2014 „harsche und unpopuläre Maßnahmen“. Diese Maßnahmen sind das Gegenteil der Renten- und Lohnerhöhungen auf der nun russischen Krim und würden eine fragile Situation weiter destabilisieren. 


Die aus meiner Sicht bisher überzeugendste Roadmap formulierte Larry Summer:



First, immediate impact is essential. New governments will not last unless they deliver results that are felt on the ground. Conditions on assistance need to recognize political as well as economic reality. Resources must be delivered in a front-loaded way, where their impact is immediately visible.
For example, strengthening safety net programs and support for new businesses need to lead — not lag — the removal of subsidies. Too often the international community sets economically rational conditions that are more than the political process can bear, then fails to move aid and blames the country for its bad policies. This is surely a time for political concerns to trump technocrats’ fears.

Second, avoid “Potemkin money.” A combination of media excitement, recipients’ desire to maximize support and donors’ desire to appear visionary usually leads to the announcement of huge assistance packages, based on indiscriminate totaling of all project flows of all kinds. The result is disappointment followed by disillusionment, as recipients realize that not all assistance can materialize quickly or meet urgent local needs.
Remember, the Marshall Plan was announced without any figures or fact sheets. The goal for Ukraine should be to under-promise and over-perform in the months ahead.

Third, be realistic about debts. Ukraine’s debt-income ratio is relatively low compared to the crisis countries of the European periphery, so encouraging full debt service may have benefits in terms of financial stability and maintaining existing fund flows that make it worthwhile. However, in light of the fact that private creditors of Ukraine have for years received risk premiums of 500 basis points or more suggests careful consideration should be given to rescheduling or restructuring Ukraine’s debts
As with Poland after the Berlin Wall fell in 1989, debt relief can provide a strong signal of political support. In working through past debts, though, the international community needs to be careful about setting the stage for future problems by relying on debt finance rather than direct grants for projects where the benefits are non-pecuniary or the costs continuing.

Fourth, honest management is as critical as prudent policy. Traditionally, international financial institutions’ focus has been on imposing conditions that go to the quality of policy. It is now understood, however, that the diversion and theft of public resources is a major source of poor economic performance. The international community should do everything it can to recover ill-gotten gains from former Ukrainian officials and put in place procedures that will prevent future fund diversions. The benefits here are both significant in narrow economic terms and salient in political terms.

Fifth, countries need to pursue broad polices in a way that benefits Ukraine. For example, Congress needs to bring the United States along with the rest of the world and approve full IMF funding if Washington is to maintain its leadership role with respect to financial crises. Ukraine’s economic strength and autonomy would also improve if the United States were to permit natural gas and crude oil exports.

Keiner der beteiligten Parteien ist willig oder fähig, Kompromisse einzugehen. Ein mutiges - und genauso politisch unrealistisches - Zeichen der EU wäre es, ein mit dem IMF vergleichbares Hilfspaket in die Hand zu nehmen oder die Interessen Russland -richtig oder nicht, das spielt keine Rolle - anzuerkennen und auf den Vorschlag einer föderalen und neutralen Ukraine nach dem Vorbild Finnlands einzugehen.


Alle Seiten nutzen ein Taumeln am Abgrund, um die eigene Position zu verbessern. Das Kräfteziehen geht unvermindert weiter. Eine Wendepunkte zur Stabilisierung hat noch nicht eingesetzt. Es sieht vorerst nicht gut aus für die Ukraine. 


Update 3 Mai 2014: 

1. Als Ausgangspunkt für weitere Überlegungen kann man sich dem anschließen: Alongside Russian interference, the conflict in eastern Ukraine is also the result of serious mistakes by Kyiv and the West
Im "The Guardian": "It is not Russia that's pushed Ukraine to the bring of War mit einer vernichtenden" wird die Verantwortung für die Zuspitzung der ukrainischen Staatskrise eher dem Westen zugeordnet. 

2. Die Ukraine ist ein zerfallendes Land. Es gibt keine einfachen Regeln, wie dies zu ändern ist. Jede Aktivität ist ein extremer Balanceakt mit tiefen Abgründen auf allen Seiten. So sind beispielsweise die Heizkosten nicht kostendeckend und tragen zu einem Haushaltsdefizit von 12 % bei, Sie sollen im Rahmen der IMF Maßnahmen um 40 - 55 % in diesem Jahr erhöht werden. Zwar sind kompensierende Maßnahmen geplant, so dass der Kostenanteil von Heizkosten von gegenwärtig 3- 7 % auf nur 5 - 11 % steigen soll, aber es ist unklar, ob die Bürokratie dazu in der Lage ist, Auszahlungen korruptionsfrei vorzunehmen und Härtefälle zu identifizieren. Es ist ein Spiel mit dem Pulverfass. Zu den politischen Risiken der IMF Kreditvergabe schreibt das Wall Street Journal hier (gated).


Update 15. Mai
Schritt bei Schritt ändert sich der politische Konsensus und die Berichterstattung der Medien. 
Slate: "The right goal in Ukraine. The real test is stabilizing the Ukraine."


Weitere Literaturhinweise

1. Francis Fukuyama:  What is governance? Ein gute Einführung in die Komplexität von "guter Regierungsführung" in entwickelten Staaten und Entwicklungsländern und die damit verbundenen Herausforderungen bei einem drohenden Staatszerfall  
2. Wenn Staaten scheitern: Theorie und Empire  des Staatszerfalls. Ein Sammelband mit dem Stand der Forschung vom Jahre 2007.  
3. The lure of state failure. A critique of State Failure Discourse in World Politics. International Journal of postcolonial studies. 2013.
4. http://www.laender-analysen.de/ukraine/ Nr. 131 vom 08.04.2014: Kam die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen zu früh? 



Sonntag, 27. April 2014

Kapitalismus heute: Eine Positionsbestimmung



Kein Tag ohne eine Rezension von Piketty’s Buch zur sozialen Ungleichheit! Eine Auswahl der letzten Tage ist hier, hier, hier, hier und hier (die FAZ mit einer ausführlichen Übersicht hier, die Süddeutsche hier). Mit 80.000 Exemplaren wird der Autor zum Superstar und personifiziert nun auch in der Wissenschaft die paradoxe Feststellung „Der Kapitalismus funktioniert nicht“ (The Guardian). Die Herausforderung lässt sich in wenigen Worten so beschreiben: 
  • warum hat die soziale Ungleichheit vorkapitalistische Ausmaße angenommen, wobei sich die Indizien mehren, dass dies das Wachstum unterminiert, und
  • warum sind klassische Vorschläge und Rezepte, an denen die Wissenschaft seit Jahrzehnten arbeitet, politisch nicht umsetzbar. Dazu gehört auch die von Piketty vorschlagene globale Erschaftssteuer.
Die Situation ist unbefriedigend und eine theoretische Herausforderung. Dass der IMF inzwischen eine eigene Webseite zur sozialen Ungleichheit hat, beschreibt als Episode nicht nur eine vollständige Kehrtwendung vom Washingtoner Konsensus, sondern auch den Grad der Verunsicherung.

Nun hat der Kapitalismus in den letzten 250 Jahren schon so manche Herausforderung bewältigt. Bisher ist noch jede Alternative gescheitert oder als produktiver Impuls integriert worden. 

Wie ist die gegenwärtige Situation zu verstehen? Wo steht der Kapitalismus? Bis bessere Argumente und Daten vorhanden sind, versuchen wir das Modell von Carlota Perez über Strukturanpassungen bei nichtlinearen gesellschaftlichen Prozessen zu nutzen: Innovative Prozesse entstehen spontan und kommen mit der Zeit immer mehr in Konflikt mit den bestehenden sozialen Normen und formellen institutionellen Regelungen. Ist eine bestimmte kritische Masse erreicht, dann passen sich die gesellschaftlichen Verhältnisse an und ermöglichen die vollständige Realisierung des technologischen Potentials bis zu einer neuen Welle an Innovationen.

Nehmen wir als Ausgangspunkt die Kondrajewschen Wellen. Jede Welle beschreibt einen technologischen Zustand, von Wellenberg zu Wellenberg steigt die Profitrate, innerhalb einer Welle sinkt sie. Entsprechend dieser Logik befinden wir uns in einem Tal. Die seit Jahrzehnten sinkenden Gewinn- und Zinsraten entsprechen diesem Bild. Sobald ein technologischer Durchbruch erfolgt, wird Wachstum wieder anziehen, Arbeit knapp werden, damit sich das Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital verändern und die soziale Ungleichheit wieder zurückgehen. Das politische Gebot wäre „Kein Handlungsbedarf“. Und dies war auch die dominierende Interpretation vor Piketty.

Das Problem ist, dass – im Unterschied zu 1928 – selbst die globale Finanzkrisis 2008 das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital nicht verändert hat, dass sich die Wellen nicht statistisch nachweisen lassen und es keine Einigkeit über ihre  Abgrenzung gibt. Carlota Perez analysiert wie Kondratjew fünf technisch-ökonomische Paradigma von 1771 bis 1971. 
Quelle
Die deutsche Bundesregierung vermarktet die Industrie 4.0. Brad de Long unterteilt 4 technische Revolutionen. Auch Anatole Kaletysky analysiert "Capitalism 4.0". Dan Breznitz und John Zysman schreiben von der dritten Globalisierung und Jeremy Rifkin von der dritten industriellen Revolution Eric Brynjolfsson und Andrew McAfee sprechen vom zweiten Maschinenzeitalter. Robert J. Gordon beschreibt drei Industrielle Revolutionen und geht von einem 200-jährigen Zyklus aus, wobei ein Wachstumsmaximum in den USA schon überschritten wurde.

Quelle

Weiterhin ist die Weltwirtschaft nicht einheitlich. Erst in den letzten Jahrzehnten haben die entwickelten Industrieländer durch Verlagerung von arbeits-, investitions- und umweltintensiven Aktivitäten in die Schwellenländer die Möglichkeiten erhalten, massiv in die Wissensökonomie zu investierten und sind, Stichwort Reindustrialisierung, mit niedrigem Wachstum und komplexen Strukturreformen gefordert. Am anderen Ende der Entwicklungsleiter ist auch 250 Jahre nach Beginn der Industrialisierung die absolute Anzahl der Menschen in Subsistenzwirtschaft nicht gefallen. Die globale Bevölkerung lag um 1750 bei über einer Milliarde Menschen, was in etwa der Bevölkerung entspricht, die heute in absoluter Armut mit unter 1.25 USD je Tag lebt. Seit Beginn der industriellen Revolution steigt die Kluft zwischen technologischer Grenze und der Sicherung des physischen Überlebens.

 
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass nach dem Übergang von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft die Transformation zur nachindustriellen Gesellschaft aussteht. In den entwickelten Industriegesellschaften sind heute rund 1 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft beschäftigt und weniger als 20 % in der Industrie, mit stark fallender Tendenz. Das Rationalisierungspotential ist erheblich. Durch Robotisierung können 80% der bestehenden Arbeitsplätze wegfallen. Eine ander Studie kommt zum Schluss, dass 47% aller Arbeitsplätze durch die fortschreitende Computerisierung bedroht sind. Beispielsweise steht das fahrerlose Auto auf der Startrampe. Die möglichen Ersparnisse sind erheblich, 1300 Milliarden USD in den USA, 5600 USD weltweit

Eine Studie zeigt, dass die Qualifikationsanforderungen bei denen Arbeitsplätzen seit der Jahrtausendwende in den USA sinken.  Viele neue Arbeitsplätze entstehen im Servicesektor aufgrund des individuellen Bedarfs der Reichen und Superreichen. Mit dem Trend zur Plutokratie kommt eine Art Neo-Feudalismus.

Extrapoliert man die  Trends, dann kann der bestehende Wohlstand mit 10 % aller heutigen Beschäftigten erzielt werden. Würde diese Situation über Nacht eintreten, so wäre der moderne Staat hoffnungslos überfordert und eine Wiederholung von Verteilungskonflikten des letzten Jahrhunderts nicht ausgeschlossen. 

Nur ist die Situation historisch nicht prinzipiell neu. Ähnliches Trends gab es mehrfach. Ein Beispiel ist hier (Studie). Das Marxsches Gesetz der Verelendung hat keinerlei empirische Grundlage. Ist eine kritische Masse erreicht, so erfolgt ein Wendepunkt, von der ab Qualifikation neu bewertet wird. Offensichtlich müssen auch heute neue Modelle und Formen entdeckt werden, die die Leistungsfähigkeit und Kreativität von 90 % der Bevölkerung positiv evaluieren, Anreize vermitteln und begrenzte Ressourcen sinnvoll verteilen. 

Die Diskussionen über das bedingungslose Bürgergeld in Deutschland oder die Überflussgesellschaft (Leisure society in der Financial Times) thematisieren diese neuen Fragestellungen. Noch zeigen sie keine befriedigende Antworten und werden nicht mit einem potentiell höheren Wohlstandsniveau - wie auch immer dieser verstanden wird - in Verbindung gebracht.
 
Nicht minder komplex ist die Frage nach dem politischen Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit und einem unausweichlichen Umkehrpunkt. Die Europäischen Bürgerkriege 1914 – 45 und der Kalte Krieg schufen ein politisches Gleichgewicht, der von den globalen Eliten verinnerlicht wurde und mäßigend wirkte. In den USA war das Mondprogramm  eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, wo heute ein aus europäischer Sicht eher bescheidene Obamacare umstritten ist. Die globale "Occupy" Bewegung verpuffte rückhaltelos. Eine konterkarierende politische Kraft zur gegenwärtigen Dominanz des Kapitals ist weder innenpolitisch noch an der Peripherie der Weltwirtschaft, wie es Russland im letzten Jahrhundert war, in Sicht. Eine Korrektur und Entwertung bestehender Vermögen ist aber unabdingbarer  Bestandteil institutioneller Pfadänderungen und den Eintritt in einen neuen Wachstumszyklus.

Technisch ist eine Neuverteilung von Vermögen relativ einfach. Reichtum ist zunehmend virtuell, geschützt durch das Gewaltmonopol des Staates, so beim intellektuellen Eigentum. Wie Fiatgeld ist es der Anspruch auf zukünftige Cash Flow und Ressourcen, die wiederum auf das Vertrauen in die Stabilität und Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Institutionen beruhen. Schwächt, beispielsweise, der Staat den Schutz des geistigen Eigentums, dann können sich First-Mover nicht mehr den überwiegenden Teil der Wertschöpfung in neuen Märkten aneignen. Bisher überließ man die Spielregeln und Anforderungen im „Neuland“ (Angela Merkel) dem Selbstlauf. Diese Möglichkeiten der Ignoranz nähern sich dem Ende. Über das Wie haben die Diskussionen begonnen, noch sind aber eindeutige Trends nicht zu erkennen. 

Mit anderen Worten, sowohl langjährige technologische Entwicklungen wie historische Trends bei den sozialen Unterschieden weisen auf Ungleichgewichte hin, mit denen die heutigen Gesellschaften seit Jahrzehnten nicht konfrontiert waren. Zugleich ist für die kommenden drei bis fünf Jahre oder so noch keine kritische Masse für eine Trendumkehr und einen neuen Entwicklungspfad erkennbar.

Wo steht der Kapitalismus heute? Eine hektische Ruhepause vor dem perfekten Sturm!

Mittwoch, 23. April 2014

Buchbesprechung: "From the Ruins of Empire" von Pankaj Mishra

Dieses Buch ist ein Aufschrei und erhält zu Recht viel internationale Aufmerksamkeit. Wie konnte es kommen, dass die alten Mächte in Indien, China und Persien  derartig vom Westen überrumpelt und gedemütigt werden konnten? Besiegt wurde man von Napoleonische Soldaten in Ägypten, die ihre Notdurft auf öffentlichen Plätzen verrichteten und von Mächten, die nur allzu oft jeden Anschein von Moral, Ehre und Tradition missachteten. Was ist das Erfolgsgeheimnis, dass dem Westen  soviel Macht, Reichtum und Einfluss gibt und was auch Jahrhundert später nicht oder nur unvollständig kompensiert werden kann? Was ist der Weg lang und widersprüchlich vom ersten Sieg über eine europäische Macht (Russland, 1905) bis zur Dekolonialisierung und Gleichberechtigung!

Die unteren Stufen der Hühnerleiter einer globalen Wettbewerbsgesellschaft sind nicht richtig für Gesellschaften mit dieser Tradition und einem eigenen Universalitätsanspruch. Es gibt viele Sackgassen aber offensichtlich keine einfachen Wege, dies zu ändern.

Die Namen sind weitestgehend unbekannt: Jamal al-Din al-Afghani, Liang Qichao, Rabindranath Tagore, Kang  Youwei, Mohamed Abduh, und viele mehr. Ihr intellektueller Einfluss ist wohl überwältigend. Detailgenau wird der intellektuelle Diskurs analysiert im Auf und Ab beim Kampf um Selbstbehauptung und Identitätssuche zwischen Tradition und Moderne, zwischen Modernisierungsimpulsen und nationalen Identitäten.

Das Buch endet mit der Aussicht, dass die Etappe der Unterwerfung Asiens vorbei ist, die Region aufsteht und Revanche einfordert. Das mag stimmen oder nicht. Es zeigt, welche Wunden geschlagen wurden, welche Fragilität dem westlichen Zivilisationsanspruch beiwohnt und wie die einmal geschlagenen Wunden bis heute die Gegenwart beeinflussen.  




Montag, 14. April 2014

Zäsuren im wirtschaftlichen Denken



Zäsuren  in den Wirtschaftswissenschaften

Es gab einfachere Zeiten für Wirtschaftswissenschaften. Nach der Zäsur der globalen Finanzkrise 2008 stehen weitere Paradigmen auf dem Prüfstein wie das Phänomen der säkulären Stagnation oder die soziale Ungleichheit. Sie haben das Potential, unser Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung radikal zu verändern. Von der Philips-Kurve über die Kuznets-Kurve und dem Okunschen Gesetz bis zur Liquiditätsfalle und den DSGE Modellen: theoretische Konzepte der letzten Jahrzehnte gingen davon aus, dass kritische  gesellschaftliche Parameter im Prinzip stabil sind. Dazu gehört die Höhe des Wirtschaftswachstums, das Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit, der gesellschaftliche Nutzen von marktwirtschaftlichen Strukturreformen und mehr. Seit dem zweiten Weltkrieg war es in der Tat so, dass viele dieser Grundannahmen, besonders an der technologischen Grenze, empirisch belegt werden konnten und so das Wissenschaftsgebäude stützten.

Obwohl, bei näherem Hinsehen gilt dies nicht uneingeschränkt. Es klaffen sogar einige erhebliche Erklärungslücken. Um nur eine zu nennen: die Entwicklungsökonomie beschreibt eine parallele Realität, die die Mehrheit der globalen Bevölkerung umfasst. Das führt zu dem paradoxen Resultat, dass Güter und Leistungen mit einem Ansatz beschrieben werden, aber beim Transport über die Weltmeere auf magische Art ihren Charakter ändern, so dass sie bei ihre Ankunft mit anderen Theorien und wirtschaftlichen Gesetzen erfasst werden.

Allein, die USA dominierten nicht nur wirtschaftlich und politisch, sondern auch wissenschaftlich. Die Wertschöpfung fand vorwiegend im Westen statt und die Konzepte, was auch immer ihre theoretische Widerspruchsfreiheit sei, machen sinnvolle und nützliche Voraussagen. Diese praktischen Argumente lassen sich nicht von der Hand weisen. Bis heute ist weit verbreitet, dass der Westen einen Maßstab vorgeben, des es zu kopieren gilt, um ebenfalls Wohlstand, Demokratie und institutionelle Stabilität zu erreichen. Die Korrelation ist offensichtlich, die Kausalität nicht. 

Und nun ändern sich die globalwirtschaftlichen Fakten. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, lässt sich auf folgendes verweisen:

1. Von 1870 bis zur Neuzeit waren die USA die größte Volkswirtschaft und seit etwa 1900 sind die die Speerspitze der Weltwirtschaft und bestimmen die kritische Anfangsphase von Wertschöpfungsketten. Zufall oder nicht, seit über Hundert Jahren liegt der Produktivitätszuwachs je Einwohner in den USA bei stabil knapp 2%. Diesen Pfad haben die USA mit der globalen Finanzkrise 2008 verlassen. Schlüssige Voraussagen gehen davon aus, dass sie auf diesen Pfad auch nicht zurückkehren. Die Bedeutung dieses Unterschieds von 7.3 % BIP oder 1.200 Milliarden USD ist schwierig zu überschätzen und hat – noch unbekannte - Auswirkungen für die Art und Weise des Wachstums. Wir können im Moment nur sagen, dass aus dem globalen Labor der institutionellen Innovationen andere Resultate kommen. Ein Nebeneffekt ist, dass Wachstum zu einem Thema des wirtschaftlichen Denkens wird, was es bisher de facto so nicht war. 


2. Schwellen- und Entwicklungsländer holen auf. Sie erreichen inzwischen die Hälfte der globalen wirtschaftlichen Aktivitäten. China, ein postkommunistisches Entwicklungsland, zeigte zuletzt einen größeren Zuwachs als die Industrieländer zusammen genommen. Der „Rest“ kopiert in aller Regel den Westen nicht, sondern entwickelt eigenständige und innovative Lösungen, die in einer komplexen und vielfältigen Welt mit gewachsenen gegenseitigen Abhängigkeiten eingebettet sind. Damit bestätigt sich, dass in einer globalen Weltwirtschaft Innovationen auch auf den unteren Sprossenleitern der Wertschöpfung die Voraussetzung für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung sind. 

Wie das folgende Diagramm zeigt, ist die Verteilung von Aktivitäten gleichmäßiger geworden, von einem zweihöckrigem Kamel zu einem einhöckrigem Dromedar, vielleicht ein Indiz für den Abbau von politischen Hemmnissen nach der Implosion der Sowjetunion.


3. Im Vergleich zur Goldenen Ära des Kapitalismus der Nachkriegszeit ist der Nutzen des technischen Fortschritts anders und wird oft als weniger ergiebig wahrgenommen. „Wir haben Twitter anstelle von Mondsiedlungen“. Das Kohlenstoffzeitalter erreicht durch den CO2-Ausstoß und der Klimaerwärmung objektive Grenzen. Wandel tut Not. Im Unterschied zu früheren Epochen wird  mit einem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaftsweise vorerst kein zusätzlicher Wohlstand geschaffen, sondern negative Nebenwirkungen reduziert. Ein schmerzfreier Übergang ist nicht in Sicht, wie vom Walöl und Kohle auf Erdöl im 19. Jahrhundert. Die Atomenergie hat die in ihr gesetzten Erwartungen nicht erfüllt und ist technisch wie politisch umstritten. Eine Vielzahl von technischen Lösungen steht bereit, bei keiner ist ein Durchbruch zu einem Katalysator zu früheren Wachstumszahlen erkennbar. Dabei ist die unrealistische Wunschliste an Ingenieure, die einen globalen Aufschwung nach sich ziehen würden, fast beliebig lang: Speicher für Strom, ein Weltraumlift, Kostensenkungen um den Faktor 10 bei der Atomenergie, exotische Materialien und mehr. 

4. Seit dreißig Jahren nehmen Wachstumsraten in den entwickelten Volkswirtschaften und die globalen Zinssätze ab. Erklärungsmuster bestehen viele, keine ist  überzeugend: Eine alternde Bevölkerung zieht Deflation der Inflation vor. Die Bevölkerung schrumpft. Die Sparschwemme (saving glut) von 22 - 24 % BIP seit den 1980-er Jahren führt zu finanziellen Repressionen. 

Ein Erklärungsmuster für sinkende Gewinne und Zinsraten ist die die ausklingenden Phase einer Kondrajewschen Wachstumswelle. Kommt es zu einem technologischen Durchbruch, dann verändert sich das Bild wieder. Um mit William Gibson zu sprechen: The future is already here - it's just not evenly distributed." Zwar sind die  Gewinne in der IT-Brache schon heute extrem hoch, nur ist ihre volkswirtschaftliche Bedeutung gering und sie kannabilisieren bestehende Aktivitäten. Dies trifft die Musikindustrie heute wie das fahrerlose Auto morgen. Technologie-Giganten wie Apple und Google verfügen über  Vermögen im dreistelligen Milliardenbereich, für die sie keine produktive Anwendung finden.Laut einer Studie können 80 % der gegenwärtigen Arbeitsplätze durch Roboter wegrationalisiert werden.


5. Die wohl größte Herausforderung ist die soziale Ungleichheit und das politische Kräfteverhältnis von Kapital und Arbeit. Nach den Zumutungen des Kalten Krieges wurden soziale Ungleichheiten nur beiläufig thematisiert, das Buch von Piketty „Capital in the 21st century“ stellt einen Wendepunkt in der Wahrnehmung dar, eine Revolution, auf die inzwischen eine Unzahl von Rezensionen hinweisen, von Paul Krugman bis zum IMF. Die vorläufige Quintessenz der Diskussion ist, dass die soziale Differenzierung vorkapitalistische Ausmaße erreicht hat, die wachstumsmindernd wirkt und mit einer langfristigen politischen Stabilität nicht vereinbar ist. Änderungen wie eine globale Vermögenssteuer scheitern am politischen Kräfteverhältnis. Vor 100 Jahren „löste“ sich eine vergleichbare Situation mit der russischen Revolution, den europäischen Bürgerkriegen 1914 – 1945 und dem folgenden Kalten Krieg. Militärische Herausforderungen und der Systemwettbewerb veränderten den gesellschaftlichen Konsens und zivilisierten das Kapital. Die Diskussion hat begonnen, was dies für Wissenschaft und Gesellschaft heute bedeutet, zumal die dramatischen Entwicklungen der Vergangenheit weder wünschenswert noch sichtbar sind. 

Carlota Perez arbeitet in ihrem Buch: „Technological Revolution and Financial Capital: The Dynamics of Bubbles“ einen Erklärungsansatz für Strukturreformen heraus, siehe Diagramm oben. Sie beschreibt, dass sich ein technisch-ökonomisches Paradigma spontan herausbildet, aber mit zunehmender Ausprägung den gesellschaftlichen Verhältnissen in Konflikt gerät, die zunehmend als Hemmnis für das weitere Wachstum wirken. Eine Neustrukturierung der Gesellschaft muss erfolgen, um das gesamte Wohlstandspotential zum Durchbruch zu verhelfen. 

Kann ein solcher  Ansatz helfen, um die gegenwärtigen gesellschaftlichen Umbrüche zu verstehen? Brauchen wir eine Neukalibrierung unserer sozialen Normen, wie beispielsweise der staatliche Schutz des geistigen Eigentums, der "The-Winner-takes-all" Märkte erst möglich macht? Wie sind Änderungen durchsetzbar, die bestehende Vermögen in volkswirtschaftlich relevanten Größenordnungen obsolet machen würde? Ist der politische Prozess ausreichend, um sich diesen Herausforderungen zu stellen oder werden wieder Einbrüche an der Peripherie der Weltwirtschaft erfolgen? 

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Freitag, 11. April 2014

OLPC: Das Ende einer versuchten Bildungsrevolution


Die Idee war auf den ersten Blick genauso brillant wie verführerisch: Gib jedem Kind einen Laptop in die Hand und entfache eine technologiegestützte Bildungsrevolution, so wie die grüne Revolution Indien im letzten Jahrhundert vor dem Hunger gerettet hat. 

Die Initiative OLPC,  One Laptop Per Child, wurde 2005 geboren. Sie wollte Millionen 100 USD Laptops in den Entwicklungs- und Schwellenländern verteilen. Ambitionierte Innovationen in der Soft- und Hardware wurden in Angriff genommen. Die Zukunft sah vielversprechend aus.

Diese ersten Schritte waren im Rückblick der Höhepunkt. Die Konkurrenz blieb nicht stehen und kommerzielle Lösungen mit ähnlichen Eigenschaften kamen schneller als gedacht auf den Markt. Das Marketing blieb auf persönliche Verhandlungen von Negroponte mit Regierungen beschränkt. Die Technologiegläubigkeit hielt den Realitäten nicht stand: Kindern lernen nicht alleine und auch Lehrer brauchen Qualifikation, Motivation und Strukturen. Das Tablett und schließlich die 1.2 Milliarden Smartphones wurde zu Killeranwendungen, auch im Bildungsbereich. Das Projekt blieb erst hinter den Erwartungen zurück, dann splitterte es sich auf. Einführungen  in einigen lateinamerikanischen Ländern zeigten keine schlechte, aber auch keine überwältigende Resultate. Schließlich versandetes es in verschiedenen weiteren Initiativen, wie der  X price foundation. Es kam das unausweichliche Goodbye.

Und die nicht unbedingt neuen Lehren: der Lehrer ist Dreh- und Angelpunkt des Lernens. Innovationszyklen gerade in öffentlichen Schulsystemen haben eine Dauer von Jahrzehnte und nicht Monaten, wie in der Wirtschaft. Staatliche Identität, kulturelle, geschichtliche und mentale Prägungen beeinflussen neben der Forderung nach Ausrichtung auf den sich stets verändernden Arbeitsmarkt die Eigenlogik von Reformen. Zur Technologie gibt es keine Alternative, nur ist sie nicht Selbstzweck, sondern Mittel, eingebettet in einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhang. 


Donnerstag, 10. April 2014

Buchrezension: The Idealist. Jeffrey Sachs and the Quest to End Poverty


Nina Munk schreibt ein hervorragend recherchiertes und brillant geschriebenes Werk über Jeffrey Sachs und seine globale Initiative, Armut mit einem Schlag zu beenden. Die Idee war, durch technische Aufrüstung von sogenannten Milleniumsdörfern mit einem großen Sprung aus der absoluten Armut in die Moderne zu gelangen. Nina Munk schildert kurzweilig und mit viel Detailkenntnis über die Brennpunkte des Geschehens, darunter die konkreten Entwicklungen in zwei Dörfern, wie der Enthusiasmus des Entstehens in die Verzweiflung des Scheiterns mündete und die Lage nachher nicht immer besser als vorher ist, trotz Millioneninvestitionen.  

Jephrey Sachs ist ein Revolutionär. Es hatte eine großartige Idee, die nicht richtiger sein könnte: Anhand des Reichtums der modernen Welt ist extreme Armut ein beispielloser Skandal. Nur frisst noch jede Revolution ihre Kinder. Nina Munk zeigt drastisch, wie von Experten von Anbeginn vorhergesagt wurde, dass das Anliegen der Milleniumsdörfer zum Scheitern verurteilt ist. Entwicklung ist ein komplexes Phänomen. Abkürzungen gab es nicht und gibt es nicht, sei es  Technologie, Dünger, Projektmanagement oder ein partizipativer Ansatz in der Entwicklungshilfe. Ein zusätzlicher Input erhöht zwar den Wohlstand, tritt aber keine Wechselwirkung mit der Umwelt, den nationalen und globalen Märkten ein, dann bleibt es auch dabei, wie ein zusätzlicher Regen, eine bessere Ernte oder ein Geschenk des Himmels. Austausch mit den Märkten ist notwendig, um ein Mehr an Wohlstand in wirtschaftliche Entwicklung umzumünzen. Neue Strukturen und Mentalitäten müssen entstehen. Das ist anspruchsvoll, komplex, innovativ, unvorhersehbar und widersprüchlich. Es verfügt über eigene Dynamiken, Anforderungen und Grenzen. Schließlich geht es um Handelspräferenzen und globale Machtverhältnisse. In einer vernetzten und globalisierten Welt steht alles in einem Zusammenhang.

Langfristig führt kein Weg an einem globalen Ausgleich und globalen sozialen Standards vorbei. Die UN-Milleniumsziele und die sich in der Diskussion befindlichen Nachhaltigkeitsziele zeigen in diese Richtung. Die Insellösung Milleniumsdörfer a la Sachs ist eine von den vielen Sackgassen in diesem aufwändigen und jahrzehntelangen Lernprozess.

Jephrey Sachs wollte dies nicht sehen, er hat es nicht gesehen und er will dies nicht sehen. Die Milleniumsdörfer wiederholen in gewisser Weise die Erfahrungen der von ihm begleiteten Schocktherapie in Russland, die in Verelendung und Skandale von korrupten amerikanischen Beratern endete. Darin liegt eine gewisse Tragik.

Nina Munk stellt sich nicht dem Anspruch, die theoretischen Debatten zu reflektieren, auch wenn sie auf wichtige Fakten und Ansätze Bezug nimmt. Sie schildert eindrucksvoll und mit vielen konkreten Beispielen, die Eigenlogik und Rationalität der einzelnen Akteure, deren beste Absichten und harte Arbeit nicht zu den gewünschten Resultaten führen konnte. Das Buch ist eine Empfehlung für einen ruhigen Nachmittag oder Abend.

Montag, 7. April 2014

Warum Russland nicht die globale Herrschaft des Dollars angreifen kann


Russland spielt mit der politischen Instrumentenkiste und nicht immer kann man der Versuchung widerstehen zuzuhören. Macht es Sinn, dass russische Unternehmen den Rubel für ihre Exporte verwenden und damit das Monopol des USD als globale Leitwährung in Frage stellen? Dies würde passen. Seit 1999 denkt Putin laut von einem globalen Finanzzentrum Moskau. Kann er die Gunst der Stunde nutzen und weitere Fakten schaffen? 

Nichts könnte falscher sein. Eine Währung und ein globales Finanzzentrum ist akkumuliertes Vertrauen, eine besondere Mentalität der Akteure, eine in formale Institutionen gegossene und von den Akteuren verinnerlichte Mentalität, die sich aus jahrzehntelangen Erfahrungen, Konflikten und Überzeugungen speist. 

London, das erste globale Finanzzentrum, wurde von Holland im 18. Jahrhundert finanziert, und blieb bis weit ins 20. Jahrhundert führend, selbst nachdem das Empire schon Jahrzehnte vergangen war. Die City erwirtschaftet heute 20 % der englischen BIP und beeinflusst die Volkswirtschaft in vielfältiger (wenn auch nicht immer positiver) Art und Weise. Die Oligarchen der ganzen Welt lieben es.

Etwas anders die globale Stellung des USD. Sie fußt auf der dominierenden Stellung der USA in der Weltwirtschaft: 

1. die USA haben das, was ungefähr ein globales Gewaltmonopol ist, mit 50 % der globalen Verteidigungsausgaben, das wichtigste Attribut der wichtigsten menschlichen Institution, des Staates.




2. die USA haben eine führende Position in Finanzen, Organisation, Bildung, Hoch- und Massenkultur und sie definieren damit den Beginn von globalen Wertschöpfungsketten. Sie sind das Land mit dem anspruchsvollsten Profil aus Innovation und Risiko. Im Gegenzug zu den Innovationen für die Welt haben sie Zugang zu Ressourcen, Kapital und Talent von der Welt.

3. Es gibt vielfältige Bedrohungen und Herausforderungen für die USA, aber niemand macht ihr gegenwärtig den Platz streitig, Vorreiter und Speerspitze der Weltwirtschaft zu sein. Sie sind weiterhin der Pionier und alle anderen Volkswirtschaften Nachahmer, die sich auf einem anderen Quantenzustand befinden. Dies ist, beispielsweise für Deutschland, durchaus lukrativ, siehe "Industrie 4.0", die Integration von Informationstechnologie mit traditionellem Metall. Die größere Rolle des  Staates in Europa und dem Westen schafft zudem ein vergleichbares Wohlstandsniveau. Aber es bleiben  die qualitativen Unterschiede, das Phänomen der "middle-income gap" (
siehe ein aktuelles Paper hier), dass seit 120 Jahren niemand zu knacken vermag, weil es für alle Beteiligten Vorteile bringt. 


Ein Beispiel: in den 1920-er Jahren dominierten die USA die globale  Automobilproduktion mit mehr als 80%. Heute ist China der größte Markt, wobei China im Pro-Kopf-BIP auf dem 62. Platz steht, die USA immer noch auf dem ersten. Die USA haben ein fast schon beängstigendes de facto Monopol bei neuen Technologien, sei es das Schiefergas (80 % der globalen Bohrungen) oder Internetunternehmen. Wie im Wettrennen von Hase und Igel: Die anderen Länder holen auf, aber wenn sie sich am Ziel glauben, dann ist der Igel schon längst da. 

Der USD als Weltwährung bringt mindestens 2 % BIP im Jahr (Eichengreen). Damit ist die Hälfte des Militärhaushalts schon bezahlt. Mann kann vermuten, dass ein Interesse besteht, daran nichts zu ändern. 

Jeder Staat, der einen Schritt auf der globalen Hühnerleiter emporklettert, versucht, an diesen lukrativen Kuchen heranzukommen. Das schafft Probleme, ändert aber nichts an globalen Kräfteverhältnissen. 

Solange ein deutliches wirtschaftliches und machtpolitisches Fundament besteht, wird sich die Rolle des USD nicht ändern. Sollte in 5 oder 10 Jahren ein Herausforderer kommen, wird es eher Jahrzehnte als Jahre benötigen, um den USD als globale Leitwährung herauszufordern. Rüpeleien und politische Spiele aus Russland, China oder Südkorea ändern nichts daran. 

Update: Wirtschaftswurm verweist auf unseren Blog. Das erste Mal ist immer besonders. Wir danken!