John Maynard Keynes

The analysis was in terms of a single national economy. What is desperately needed now is a rewrite in terms of the world economy." (John Maynard Keynes's General Theory of Employment, Interest and Money, 1936)

Sonntag, 9. März 2014

Ressourcenfluch und Finanzfluch


Der „Economist“ wies zuerst auf das Phänomen der Holländischen Krankheit hin, der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit nachdem an der Küste umfangreiche Gasvorkommen gefördert wurden. Mit der Nationalisierung der Förderung von Erdöl und Erdgas in den 1960-er Jahren in Entwicklungsländern weitete sich das Phänomen aus. Der Ressourcenfluch befällt Länder, die anscheinend ausreichend Mittel für die Modernisierung und Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit haben, deren Wachstum und gesellschaftliche Entwicklung aber nicht oder nur sehr unzureichend auf die neu gewonnenen Möglichkeiten reagiert.

Die Mechanismen sind inzwischen mannigfaltig beschrieben: Die hohe, anstrengungslose Wertschöpfung wertet alle anderen Aktivitäten gesellschaftlich ab. Der Export von Rohstoffen erhöht den Wert der Währung auf, was den Import verbilligt und den Export erschwert. Der Rohstoffsektor saugt Talent, Ressourcen und politisches Kapital vom Rest der Wirtschaft und unterminiert ihre Dynamik. Wohlstandswachstum durch Förderung der Rohstoffe ist einfacher als durch Wettbewerbsfähigkeit durch politisch anspruchsvolle und riskante Strukturreformen. Die Volatilität von Rohstoffpreisen und die Abhängigkeit von den Weltmärkten gibt dem kurzfristigen Denken Vorschub und schwächt Anreize für den langwierigen Aufbau von Institutionen und Humankapital. Im jeweiligen Kräftegleichgewicht der politischen Kräfte verstärken sich Asymmetrien. Das nüchterne Resultat ist, dass rohstoffreiche Länder nicht oder nur sehr wenig schneller wachsen als rohstoffarme. 

Bei einem schwachen Staat wie in Entwicklungsländern kann Korruption und Misswirtschaft die Überhand gewinnen. Nigeria ist das klassische Negativbeispiel, wie Ressourcenreichtum ein Land ruinieren kann. Aber selbst ein positives Ausnahmeland wie Botswana fand keine adäquate institutionelle Antwort auf die HIV- Epidemie und musste ein Jahrzehnt Wohlstandszuwachs abgeben. Saudi-Arabien, als globaler Swing-Produzent ein strategischer Partner des Westens, konserviert ein neofeudales Gesellschaftsmodell, den Wahabismus. Venezuela finanziert seine Experimente zum Sozialismus des 21. Jahrhunderts und ruiniert damit die Grundlage seines Reichtums, die Erdölförderung. Die Mongolei, ein kleines, demokratisches Steppenvolk zwischen den autoritären Giganten Russland und China, wagt mit ungewissem Ausgang den größten Sprung, von der Naturalwirtschaft direkt in die Moderne und vom Nomadentum in die Urbanität.

Weitere Aspekte sind prägend. Pauline Jones Luong und Erika Weinthal zeigen in ihrem Buch Oil Is Not a Curse: Ownership Structure and Institutions in Soviet Successor Statesauf wie unterschiedlichen Pfaden sich rohstoffreiche Volkswirtschaften von einer gemeinsamen Grundlage entwickeln – ohne dass sie sich vom Ressourcenfluch lösen können. Auch lässt sich der Ressourcenfluch innerhalb eines Landes aufzeigen. Die westlichen Gemeinden in den US-Bundesstaaten Colorada, Montana, New Mexiko, Norddakota, Utah und Wyoming durchlebten einen Öl- und Gasboom mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten bei der Beschäftigung und den Einkommen und einer negativen Korrelation beim Pro-Kopf-Einkommen, der Kriminalitätsrate und dem Bildungsniveau (paper).

Inzwischen ist eigener Gewerbszweig entstanden, der versucht, den Ressourcenfluch zu kanalisieren und einzudämmen. Dazu gehören Instrumente wie Transparenz und Lizenzen, etwas bei sogenannten Blutdiamanten,die International Corruption Hunters Alliance, die Extractive Industries Transparency Inititiative (EITT), Global Witness oder der Resource Governance Index. Erfolge sind sichtbar, können aber wirtschaftliche Wirkungsgefüge nicht überwinden. Selbst eine Innovation wie der norwegische Staatsfond, der Generationengerechtigkeit schaffen soll, neutralisiert den Ressourcenfluch nicht vollständig und ein entwickeltes Industrieland wie  Australien durchlebt gerade eine Welle der Deindustrialisierung. 

Renten, Zufallsgewinne, windfall-profits sind eine Gegebenheit des Wirtschaftslebens - wie auch Katastrophen, Naturunglücke, Bürgerkriege und Staatsimplosionen - auf die ein gesellschaftlicher Organismus verschieden reagiert. Hier ist eine einfache Klassifikation: 

 Quelle

Mit der Finanzkrise erhärten sich nun die Indizien, dass ähnliche Prozesse auch außerhalb des Rohstoffsektors stattfinden. Eine plausible Hypothese ist, dass erfolgreiche Innovationen wie Schattenbanken und komplexe Finanzprodukte die bestehenden Regulierungen und Gleichgewichte überwanden und dem Finanzsektor eine erhebliche Rente ermöglichten – der Finanzfluch. Der Finanzsektor wuchs besonders in englischsprachigen Ländern auf über 7 % der nationalen Wirtschaftsleistung auf und konnte bis zu 40% des Gewinns der Volkswirtschaft vereinnahmen. Wie beim Ressourcenfluch ist der Finanzsektor überdurchschnittlich attraktiv – die Anfangsgehälter liegen 70 % über dem Durchschnitt – und saugt Talent vom Rest der Gesellschaft. Es werden immer neue Argumente und Hypothese hervorgebracht, dass der volks- und globalwirtschaftliche Nutzen weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Wieweit gehen Gemeinsamkeiten des Ressourcenfluchs und des Finanzfluchs? Für den Ressourcenfluch gilt, dass Staaten über Jahrzehnte Strukturreformen verzögern können und die Rente aus Rohstoffen parallele Gesellschaftsentwürfe finanziert. Zwar finden partielle Modernisierungen statt. Sie unterscheiden sich aber strukturell von Modernisierungs- und Anpassungsprozessen im Westen, beispielsweise beim Verständnis von Demokratie, Freiheit und den Menschenrechten.
Seit dem Beginn der Finanzkrise wurden umfangreiche Bemühungen unternommen, eine Übereinstimmung der Anreize im Finanzsektor mit volkswirtschaftlichen Kriterien zu erreichen. Die Erfolge sind bisher wenig überzeugend.

Können die Erfahrungen des Ressourcenfluches einen analytischen Ansatz bieten?

Siehe auch: 

Freitag, 7. März 2014

Expansion als die letzte Verteidigungslinie Putins


Hat Putin den Bezug zur Realität verloren? Präziser wäre es vielleicht von einer alternativen Weltsicht zu sprechen. Seitdem Gorbatschow mit der Eselsbrücke allgemeiner menschlicher Werte das kommunistische Wahrheitsmonopol unterminierte gab es keine derartig unterschiedliche Weltsicht der führenden (Nuklear-) Mächte.

Seit jeher weist die moderne Zivilisation eine Spannweite zwischen Handeln und Worten, zwischen Innen- und Außenpolitik auf. In der Regel funktioniert dies gut und zum gegenseitigen Nutzen. Dies war in der Vergangenheit so, siehe den zivilisatorischen Beitrag von Wissenschaft und Technik, dies ist heute so, wenn es mehr Mobiltelefone als Menschen gibt. Und es gibt auch die Gegenbeispiele. Auf der Kostenseite steht der Beitrag des Sklavenhandels zur Finanzierung der industriellen Revolution oder die Haushaltskonsolidierung durch Opiumkriege im Namen von Freihandel und Religionsfreiheit im 19. Jahrhundert. Seither haben sich nur die die Formen und der konkrete politische Konsens  dramatisch gewandelt, nicht der Mechanismus selbst.

Saudi-Arabien ist mit seinem aggressiven Wahabismus und einem vormodernen Frauenverständnis ein strategischer Partner des Westens, weil es einen Beitrag zu global stabilen Ölpreisen leistet. Rohstoffe kommen aus Krisenregionen und finanzieren Konflikte, die weit weg sind und nur sporadisch thematisiert werden. Russisches Öl und Gas ist für den eigenen Wohlstand unverzichtbar; das Geld der russischen Oligarchen verhindert vorerst Sanktionen gegen sie auf dem Londoner Finanzplatz.  Wir können uns Sanktionen gegen Russland nicht leisten“, sagt der Ökonom Hans-Werner Sinn mit Bezug auf die Energiewende. Scheinbar virtuos spielt Putin mit den Kompromissen des Westens und positioniert sich als Großmacht, die aus der Zeit gefallene geopolitische Rochaden spielt.

Dabei wird oft übersehen, wie stark Putin mit dem Rücken zur Wand steht. Seine außenpolitischen Erfolge verdrängen die dramatischen Probleme im Inland. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart: Der König ist nackt. Die Haltbarkeitsdauer des Putinschen Modells neigt sich dem Ende. Die gegenwärtige Stärke ist nur scheinbar. Die  Beatmung durch außenpolitische Experimente kann einen kommenden Wechsel nur zeitlich verdrängen, zum Preis höherer Anpassungskosten und einem volkswirtschaftlichem Pfad niedrigerer Wertschöpfung in der Zukunft. 


Quelle

Aufstieg und Fall des Putinschen Gesellschaftsvertrages hat klare Konturen. Als Putin 1999 an die Macht kam, hatte der Staat kurz zuvor die Zahlungsfähigkeit erklärt, einzelne Oligarchen dominierten das politische Geschehen und das staatliche Gewaltmonopol wurde von vielen Seiten herausgefordert. Das Lebensniveau und selbst die Lebenserwartung, ein Phänomen für Friedenszeiten,  befanden sich im freien Fall. Die Sturm-und-Drang-Phase des russischen Kapitalismus, neu gewonnene demokratischen Freiheiten und marktwirtschaftlichen Reformen hatten ungeachtet einzelner Erfolge unter dem Strich der russischen Gesellschaft mehr Schmerzen als Heilung verursacht. 

Wie so oft in der Geschichte kamen institutionelle Trends und pures historisches Glück zusammen und mit Putins Machtergreifung verbindet sich ein Trendwechsel, der Aufstieg und Fall des Putinismus. 

Mit Hilfe der funktionstüchtigsten Institutionen der Vergangenheit, der Geheimdienste, der Silowiki, baute Putin den russischen Staat wieder auf. Der steigender Ölpreis finanzierte einen ungeschriebener Gesellschaftsvertrag: Konsolidierung der autoritären Macht und ein steigendes Lebensniveau. Die Rechnung ging auf. Die Realeinkommen stiegen – je nach Berechnungsart - um das Zehnfache (!), während sie im Westen weitgehend stagnierten, eine Goldene Zeit in der konfliktreichen russischen Geschichte. Dies half der Legitimation. Der russische Staat erfüllt wieder seine wichtigsten Funktionen. Eine Modernisierung von Oben wurde in verschiedenen Anläufen in Angriff genommen.

Die Erfolge übertünchten die strukturellen Schwächen: die fehlende Rechtssicherheit führte zur jährlichen Kapitalflucht in mittlerer zweistelliger Milliardenhöhe, die Korruption und der Ressourcenfluch schnürt die Modernisierung der Wirtschaft ab. Der Brain-drain russischer Fackkräfte führt zu Verdrängungseffekte an amerikanischen mathematischen Fakultäten. Die Abhängigkeit von Export von Rohstoffen und Energieträgern erreicht 85 %. Bis auf exotische Nischen wie die Raumfahrt verlor die russische Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist keine industrielle Nation mehr und wird wohl zu Recht aus dem Kreis der G8 herausfallen.

Die Folge ist eine wachsende Ohnmacht, Wachstum angesichts der bestehenden strukturellen Schwächen zu erzeugen, nicht unähnlich der Breshnewschen Ära der Stagnation um 1980 (Analyse, Analyse). Da die Preise für Öl und Gas nicht im Durchschnitt der letzten 10 Jahre weiter steigen können (von 30 USD auf ca. 100 USD), kann das bestehende Gesellschaftsmodell von den Herrschenden nicht erfüllt werden. Damit bahnt sich wieder eine Krisis des politischen Systems an und das politische Schicksal Putins steht auf dem Spiel. Das autoritäre System steht vor seiner größten Belastungsprobe. Die Einverleibung der Krim ist kein Akt eines expandierenden Imperiums, sondern die letzte Verteidigungsliniegegen eine anrollende Modernisierungswelle, die in der Form der Verwestlichung dämonisiert wird. Putin wird ahnen, dass er diese Schlacht nicht gewinnen kann, wohl aber über viele Instrumente und Methoden verfügt, um sie zu hinaus zu zögern. Der Konflikt mit der Ukraine ordnet sich hier ein.

Nach 1917 und 1991 steht Russland vor seiner dritten Modernisierungswelle. Es ist ein nichtlinearer Prozess, der über Nacht erfolgen kann oder erst in fünf Jahren, aber zweifelsohne kommen wird.

Vor diesem Hintergrund sollten auch die Ereignisse in der Krim betrachtet werden. Sobald sich die Situation beruhigt hat, werden vollständig neue Lösungsansätze möglich sein. Ein langer Atem und gute Nerven scheinen angebracht.  

Donnerstag, 27. Februar 2014

Politischer Umsturz in der Ukraine, die EU vor einem Dilemma


Es war ein Risiko, nun ist es eingetreten: mit 80 Toten entrichtete der Euromaidan einen hohen Blutzoll. Bestehende Mechanismen zur Konfliktlösung haben nicht ausgereicht. Extremistische Kräfte wurden gestärkt. Die politische Situation hat eine neue, gefährlichere Dimension erreicht. Jede Freude über den Sieg demokratischer Kräfte über einen Kleptokraten kann nicht darüber hinweg täuschen, dass das Land der nächste Kandidat für eine gescheiterte Revolution ist.

Zuerst, die ukrainische Staatlichkeit ist durch die gewalttätigen Auseinandersetzungen bedroht. Die Büchse der Pandora wurde geöffnet. Die Geschichte und die Gegenwart lehren: Tote ziehen Tote nach sich, oft in einem  überproportionalen Verhältnis von 1:10 und 1: 100. Die Pendelausschläge zu den Extremen erhöhen den Preis des Umbruchs. Für alle Seiten verringern sich die Möglichkeiten der Einflussnahme. 

Staatliche Institutionen aufzubauen ist ein außerordentlicher Kraftakt. Der Staat ist und bleibt die wichtigste Institution einer Gesellschaft. Die Ukraine hat keine oder nur wenig staatliche Traditionen, es ist ein linguistisch, politisch und mental geteiltes Land.






Im Westen wird die eigene Staatlichkeit oft als gegeben vorausgesetzt, zumal die Wurzeln teilweise bis in das finstere Mittelalter reichen und die Turbulenzen des 20. Jahrhunderts gern vergessen werden. Damit wird die Dimension unterschätzt, die nötig ist, um einen modernen Staat aufzubauen. Vor 20 Jahren hatten die Ukraine und Polen dasselbe Pro- Kopf -BSP, heute ist Polen dreimal reicher. Unterschiede in der Tradition von Staatlichkeit und der Herausbildung einer nationalen Identität sind Ursachen.  Nicht die Korruption ist der Geißel, der Entwicklung verhindert, wie dies in den Massenmedien oft kolportiert wird, sondern die Schwäche des Staates lädt zum ständigen und ausufernden Missbrauch ein und kann systemisch von Einzelinteressen usurpiert werden. Der Niedergang der Orangen Revolution hat hier ihre eigentliche Ursache, auch wenn die demokratischen Kräfte damals scheinbar an handwerklichen Fehlern scheiterten.

Weiter, die Fähigkeiten und Fertigkeiten, die bei der politischen Zuspitzung zum Sieg führen, sind für den weiteren gesellschaftlichen Aufbau vollkommen unbrauchbar. Zwar sind die Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit, Annäherung an die EU und ein Ende der Korruption sind vollkommen legitim, aber eine informelle Gruppe wie der Maidan Council darf nicht das Gewaltmonopol beanspruchen. Um erfolgreich zu sein, muss eine Revolution ihre Kinder fressen. Auch für die Ukraine ist der Lackmustest für erfolgreiche  Veränderungen die Schnelligkeit mit der der politische Prozess in formelle Formen zurückkehrt und damit der Maidan Council an Macht und Einfluss verliert. 

Jede Revolution hat ihre Konterrevolution. Das industrielle Kerngebiet im Osten der Ukraine, aus dem Janukewitsch stammt, ist gegenwärtig der Verlierer. Dies wird nicht so bleiben. Die romantische Phase noch jeden politischen Umsturzes ist extrem kurz.  Schon erste Entscheidungen der  Übergangsregierung wie der notwendige Abbau der Subventionen werden die politische Landschaft radikal verändern. Denn damit werden die Lebensgrundlagen der gesamten Bevölkerung betroffen. Frühere Regierungen trauten sich dies nicht, selbst für den Preis von IMF-Krediten in Milliardenhöhe. Wie die ersten Verlautbarungen der Übergangsregierung zeigen, versucht man sich daran. Es wird viel schwieriger, nicht leichter, die politische Instabilität einzudämmen.

Solange die Ukraine politisch instabil ist, bleibt einheimisches wie ausländisches Kapital fern. Eine wirtschaftliche Genesung kann nicht erfolgen (Analyse).  Der globale Wettbewerb wird für den Standort Ukraine für längere Zeit eine Risikoprämie einfordern. Damit werden Investitionen in eine Grauzone kanalisiert, die die Grenzen von Sittlichkeit und Fairness berühren. Solches Risikokapital ist auch nicht ausreichend, um einen nachhaltigen Wachstumspfad zu betreten. Ohne äußere Impulse droht die Ukraine in einen Kreislauf aus Instabilität und wirtschaftlicher Schwäche zu versinken, geschweige denn einen westeuropäischen Wohlstandsstaat aufzubauen. 

Was kann die EU tun? Man kann nur mit George Soros übereinstimmen, dass die EU einen entscheidenden Einfluss und damit Verantwortung hat. Ein zerfallender Staat von der Größe der Ukraine in Europa wäre eine geopolitische Katastrophe und ein beispielloses Versagen des Westens. Priorität muss der Erhalt des ukrainischen Staates haben. "Es ist jetzt wichtig", sagt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, "dass vor allem ein Auseinanderbrechen der Ukraine verhindert und die besonnenen Kräfte im Land gestärkt werden".  Dafür sind weitgehende Kompromisse notwendig. Erste Fahrpläne zur Stabilisierung liegen vor.  Auch Russlands muss um fast jeden Preis ins Boot geholt werden. Zwar verfügt es über andere Interessen, nutzt andere außenpolitische Instrumente und hat verschiedene Wertevorstellungen, aber der gemeinsame Nenner ist die Vermeidung eines Brandherdes.

Letztlich steht die EU aber vor einem Dilemma: Stellt sie nur unzureichende Ressourcen zur Verfügung oder ist zu zaghaft oder sind die Bedingungen zu hart, dann droht der Staatskollaps. Stelle sie umfangreiche Ressourcen für die Stabilisierung der Ukraine zur Verfügung, dann werden bestehende Strukturen konserviert und die krisengeplagte Südflanke der Europäischen Union lehnt sich gegen diese Sonderbehandlung auf.

Es ist ein Lernprozess der europäischen Entscheidungsträger zu erwarten. Noch trägt die Rhetorik über Demokratie, Marktwirtschaft und Kampf der Korruption. Den Standardforderungen des IMF nach Austerität, Strukturreformen, Marktliberalisierungen und Subventionsabbau wird nicht widersprochen. Ein Pendelschwung zu den Niederungen der Realpolitik a la Kissinger ist in den kommenden Monaten nicht schwer vorauszusagen. Dann geht es um das Gewaltmonopol des Staates, das Vermeiden von sozialen Unruhen und die Auseinandersetzung mit politischen Extremisten. 

Man kann nur hoffen, dass diese Überlegungen zu pessimistisch sind. 

Update: 4. März: Die Situation hat sich enorm verschärft. Ukraine hat keine Regierung der Nationalen Versöhnung gegründet, wie vertraglich ausgehandelt. Nun sind Extremisten Minister geworden und Russisch wurde als Amtssprache thematisiert, eine Provokation. Regieren als Handwerk wird nicht beherrscht. Russland reagiert hart und bringt die Krim unter militärische Kontrolle. Offensichtlich ist auch Russland in der Spätphase von Putins Herrschaft erheblich fragiler als angenommen. Das Land zeigt Erscheinungen des Zerfalls. Ist dies wirklich die größte Ost-West-Krise seit 25 Jahren? Die Beurteilung der Lage könnte nicht unterschiedlicher sein. Der Westen sieht Russland als Störenfried einer zunehmend labilen Lage, Russland fühlt sich vor dem Kopf gestoßen und möchte seinen Einfluss erhalten, aber kaum für den Preis der Eingliederung von mehreren Millionen verarmter ehemaliger ukrainischer Staatsbürger (5 Faktoren). Der Wohlstand ist  viermal höher in Russland (3.600 USD/Kopf  BIP vs. 13.000 USD/Kopf BIP). Dies könnte auch Russland in den Abgrund reißen. Für die Ostgebiete und die Schwarzmeerküste ist dies die einfachste Lösung: sprunghafter Anstieg des Lebensstandards und Stabilität!   

Das Dilemma für den Westen steigt. Je mehr er die neue ukrainische Regierung unterstützt, desto mehr wird er in den drohenden Staatskollaps hineingezogen. Jeder Tag erhöht das Preisschild der finanziellen Unterstützung. Strukturreformen? Abbau der Subventionen? Unter den jetzigen Bedingungen ist dies staatlicher  Selbstmord. Das Pendel der Veränderung neigt sich von demokratischen Strukturreformen zur Verhinderung des Staatskollapses. Russland wird unverzichtbar, um die Situation zu stabilisieren.
Der Krise hat erst angefangen. Schon das erste Kapitel zeigt eine dramatische Zuspitzung. 
Mehr Analysen hier

Update 5. März: 
Drohender Staatskollaps der Ukraine ist eher eine größere Gefahr als Völkerrechtsverstoß Russlands
Siehe auch Zeit

Die wichtigste Aufgabe eines Staates ist es, eine Identität im Unterschied zu allen anderen Identitäten herzustellen. Je klarer diese Identität ist, desto stärker der Staat. Auch deshalb ist der Staat Ukraine schwach: Es gibt ein Brudervolk (Putin, Pressekonferenz 4. März): Russland. Das hat zwar auch Probleme mit seiner imperialen Vergangenheit, aber nicht mit seinem Selbstverständnis als Staat und die entsprechende Krise der Identität unter Jelzin bis 1998 wurde mit Putin vollständig überwunden.

Gehe es nach einem sozialen oder politischen Planer, dann müsste sich der Westen mit Putin an einen Tisch setzen und Möglichkeiten ausloten, wie die Ukraine stabilisiert werden kann. Jetzt hat Russland seine Version der Ereignisse und der Westen stört sich daran, dass in besten Friedenszeiten fremdes Territorium mit (para-) militärischen Mitteln annektiert wurden.

Sollte eine Staatskollaps kommen, müssen beide Seite sehr tief in die Tasche greifen und sich doch an einen Tisch setzen. Ein Land im Herzen Europas mit 45 Millionen Einwohnern ist eine  Katastrophe. Es ist nicht so, dass ein solches Risiko gesehen wird, im politischen Prozess werden die Prioritäten aber vollständig anders gesetzt. Damit gewinnt der Prozess etwas fatales. 





Dienstag, 4. Februar 2014

Wie kann der Bertelsmann- Transformationsindex verbessert werden?



Der neu veröffentlichte Transformationsindexes (www.bti-project.org) analysiert die Qualität des Regierungshandelns und politische Gestaltungsprozesse von 128 Entwicklungs- und Transformationsländern, erhoben von 250 Forschern in fast 7.000  Einzelbewertungen. Zu jedem Land besteht eine mehrseitige Analyse. Eine grafische Lösung erlaubt, komplexe Informationen und historische Trends zu visualisieren (http://atlas.bti-project.org/). Neun globale Megatrends werden identifiziert. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle sind Schlüsselthemen wie Gewaltenteilung, Korruptionsbekämpfung, Wirtschaftswachstum und freie Meinungsaufbereitung multimedial aufbereitet. Der Transformationsindex ist einer der wenigen von fast 40 globalen Indexen – siehe Auflistung am Ende - , die sich der Herausforderung einer unabhängigen und systemischen Länderanalyse stellt.

Mit Indexen können komplexe gesellschaftliche Phänomene auf einen einfachen Nenner gebracht, Trends bestimmt, Bewertungen und Empfehlungen gegeben werden. Ein Beispiel ist, dass sich Japan beim Gender Gap Index auf dem 105. Rang von 136 Ländern befindet, hinter dem weit ärmeren Indien und Burkina Faso. Wären Frauen im gleichen Maße wie Männer am Wirtschaftsleben beteiligt, so würde die Wirtschaftsleistung um 16 % steigen und die 20-jährige wirtschaftliche Stagnation wäre beendet. Die Überwindung der geschlechterspezifischen Unterschiede in der Erwerbsquote hat Eingang in der Politik gefunden und ist Bestandteil des erwarteten dritten Teils der Abenomics bei der Revitalisierung des Landes.

Andere Veränderungen im komplexen globalen Geschehen sind ohne die Vereinfachungen durch Indexe schwieriger zu erkennen. So fällt das Ende eines jahrzehntelangen Superzyklus bei Rohstoffen mit einem Zyklus bei Krediten und niedrigen Zinssätzen zusammen. Das hohe Wirtschaftswachstum bei Entwicklungs- und Schwellenländern zu Beginn des Jahrtausends geht einher mit dem Rückgang der Demokratie, wie im Transformationsindex gemessen, und einer Verlangsamung der Globalisierung laut DHL Global Connectedness Index. Inwieweit sich hinter diesen Korrelationen auch Kausalitäten verbergen, sollte Gegenstand weiterer Untersuchungen sein.

Indexe bedürfen eines Kontextes und der Interpretation. So hätte China Mitte des 19. Jahrhunderts Spitzenwerte beim Index für Freihandel und Religionsfreiheit. Dies wurde aber durch militärische Maßnahmen während der Opiumkriege erzwungen und nützte der englischen Staatskasse während China verelendete.

Was misst der Transformationsindex? Laut Webseite soll das politische Management durch die Analyse von Stärken und Schwächen bestehender Prozesse Zielstellung verbessert werden. Ziel ist die Gestaltung des friedlichen Wandels zu rechtsstaatlicher Demokratie und sozialen Marktwirtschaft. Mit dem Index wird die Qualität der Regierungsführung bewertet, was zum Verständnis von gesellschaftlichen Wandels in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft beitragen soll.

Es besteht kein Zweifel an der Richtigkeit des Koordinatensystems Totalitarismus/Diktatur vs. Demokratie und Autokratie/Staats- /Planwirtschaft vs. Marktwirtschaft. Seit dem Beginn der Industrialisierung vor 250 Jahren wird die Welt marktwirtschaftlicher und demokratischer. Das Ende der Sowjetunion beschrieb einen Schlussstrich zur „Universalisierung der westlichen liberalen Demokratie“ (Francis Fukuyama). Trotz aller begründeter Kritik am Kapitalismus gibt es keine Alternative. Der heutige Zusammenhang zwischen sozialer Marktwirtschaft und entwickelter Demokratie wird auf der Webseite überzeugend visualisiert.

Ein klassisches Beispiel ist die Grenze zwischen den beiden koreanischen Staaten. Mit den Nachtaufnahmen zwischen einem erleuchtetem Südkorea und einem dunklen Nordkorea können die Folgen unterschiedlicher Wirtschaftspolitiken kaum besser illustriert werden. Hier das dynamisches Schwellenland, dass mit Schweden laut Global Innovation Index (Bloomberg) das innovativste Land ist, dass über Weltunternehmen wie Samsung verfügt, einem besseren Breitbandausbau als Deutschland hat und mit seinem Pisa-Rating Maßstäbe setzt. Dort die halbfeudalen Planwirtschaft, dessen politisches Klima den Totalitarismus vom Ende des Koreakrieges einfroren hat und dessen Bevölkerung durch Hungerepidemien dezimiert und im Durchschnitt 20 cm kürzer als die südkoreanische Verwandtschaft ist.

Außerhalb von historischen Zeiträumen sind die Kausalitäten zwischen Demokratie und Marktwirtschaft nicht so eindeutig. Das autoritäre China entwickelt sich seit drei Jahrzehnten weit dynamischer als das demokratische Indien. Seit der Jahrtausendwende sind autoritäre und staatskapitalistische Staaten schneller gewachsen als die entwickelten Demokratien, was Irritationen aufwirft, wenn der Trend für Jahrzehnte extrapoliert wird. Russland befindet sich nach 1917 – 1991 in einem weiteren politischen Zyklus: Die Jelzin-Jahre waren bis 1998 eine demokratische und marktwirtschaftliche Sturm-und-Drang Zeit, bei der die Wirtschaft schrumpfte und die Realeinkommen sanken. Unter Putin stabilisierte sich die Gesellschaft, die Einkommen wuchsen um das Zehnfache, aber autoritäre Tendenzen sind unübersehbar. Wird der gegenwärtige Gesellschaftsvertrag aufgrund sinkender Wachstumsraten und erhöhter Abhängigkeiten vom Ressourcenexport nicht mehr eingehalten, dann bricht eine neue Welle demokratischer und marktwirtschaftlicher Reformen an. Die Nach-Putin-Ära wird der dritte Reformzyklus in rund 100 Jahren sein.

Auch das Verhältnis von Nord- und Südkorea kann im historischen Kontext gesehen werden. Südkorea war Frontstaat bei der Eindämmung des Kommunismus in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Wie auch Deutschland verfügte es nur über eine eingeschränkte Souveränität, wichtige makroökonomische Weichenstellungen wurden in Abstimmung mit den USA vorgenommen. Dafür erhielt Südkorea Treibhausbedingungen für Wachstum, Demokratie und Marktwirtschaft: Sicherheit, Kapital, technische Unterstützung und Zugang zum US-amerikanischen Markt. Die Regierung nutzte die vorhandenen Bedingungen. Nicht nur Nordkorea, viele andere Länder hatten nicht annähernd solche Voraussetzungen. Lateinamerikanische Staaten sind Wettbewerber der USA, in der Vergangenheit aufgrund der Machtungleichgewichte eher Hinterhof, Rohstofflieferant und Absatzmarkt als Partner zur Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen.

Die Autoren des Bertelsmann-Transformationsindex verweisen darauf, dass eine Linearität des Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft nicht besteht. Bestehen vielleicht andere Faktoren, die das Wechselverhältnis von Demokratie und Marktwirtschaft bestimmen? Kandidaten wären neben dem geopolitischen Kräfteverhältnis die Geschichte (der wichtigste Faktor für ein heutiges reiches und demokratisches Land ist Reichtum und Demokratie vor 100 Jahren), Geographie (Stadtstaat vs. Binnenland) und Technologie (mehr Mobiltelefone als Menschen).

Die Diskussion der letzten Jahre generiert ständig neue Facetten. Fragen der Demokratie und sozialen Ungleichheit haben die politische Ebene erreicht, wie die Rede von Präsident Obama zur Lage der Nation in den USA zeigt. Publikationen verweisen beispielsweise auf die Rolle von Einkommen und Bildung (hier) bei der Entwicklung der Demokratie oder der Initiierung von Wachstum (hier). Thomas Piketty weist auf die Grenzen der westlichen Demokratie, die eine Zunahme der sozialen Ungleichheit auf ein vorindustrielles Niveau nicht verhindert. Robert Allen zeigt, wie historische Ressourcenflüsse aus Entwicklungsländern Reformprozesse im Westen finanzierten. Ian Morris führt geographische Zufälligkeiten auf, die zur industriellen Revolution in Europa und nicht in China führten. Jared Diamond analysiert die Bedeutung der Tradition bei der Robustheit von Institutionen gegenüber endogenen und exogenen Schocks. Robert Gordon, Tyler Cowen und Larry Summer haben eine heftige Diskussion über einen 250-jährigen Zyklus der Weltwirtschaft entfacht, wonach zuerst der Westen enteilte und nun vom Rest der Welt eingeholt wird.  Sollten sich die Indizien einer säkulären Stagnation verhärten – wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen - , dann müsste die Bedeutung von Demokratie und Marktwirtschaft für die Wohlstandsmehrung neu kalibriert werden.
Die folgenden Faktoren können aufgeführt werden, die die Entwicklung von Demokratie und Marktwirtschaft beeinflussen:

Eingliederung in die globale Wertschöpfungshierarchie: Je höher sich ein Land in der globalen Pyramide befindet, desto bessere Möglichkeiten hat es, bestehende und zukünftige Herausforderungen zu bestehen. Mit der Entfernung zur technologischen Grenze nimmt tendenziell die Fähigkeit ab, Investitionen zum Bestehen in einer globalen Wettbewerbsordnung vorzunehmen, das Wagnis Marktwirtschaft und Demokratie einzugehen und unvermeidliche Durststrecken zu überbrücken. Produktivitätsschocks lassen sich besser an der Spitze der globalen Pyramide mit einer diversifizierten Wirtschaft abfedern. In armen Gesellschaften droht das soziale Gefüge zu zerreißen, wenn Produktivitätsfortschritte und Preise in einer Generation um den Faktor 100 und mehr auseinanderklaffen[1]. Der Stadtstaat Singapur hat die Chance, sich mit jeder technologischen Innovationswelle auf höherer Stufe neu zu erfinden und nutzt sie. Jemen steckt mit einer traditionellen Gesellschaftsstruktur, einer explodierenden Bevölkerung, schwindenden natürlichen Ressourcen und dem Fehlen eines wettbewerbsfähigen Wirtschaftsmodells in einer Anpassungsfalle, bei dem selbst Erdölfunde nur wenig Erleichterung bedeuten.

Ressourcenflüsse: Je mehr Ressourcen ein Land zur Verfügung hat, desto besser kann es in Wachstum und Strukturreformen finanzieren und Wohlstandsgewinne aus Demokratie und Marktwirtschaft erzielen. Kapitalflüsse umfassen ausländische Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen, staatliche und private Kredite, die offizielle und private Entwicklungshilfe und Überweisungen aus dem Ausland. Mit der Tiefe und Intensität der Integration in globale Kapitalmärkte können Ressourcenflüsse besser gelenkt werden. Die Terms of Trade begünstigen oder benachteiligen die Leistungskraft eines Landes. Technologische Durchbrüche beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit wie es die gegenwärtige Diskussion zu den geostrategischen Folgen der Schiefergasrevolution in den USA zeigt. Nicht zuletzt ändern sich die ökonomische Bewertung bestehender natürlicher Ressourcen in die eine oder andere Richtung, wie die Neubewertung von Seltenen Erden oder das Phänomen des „land grabbing“ zeigt.

Eigenlogik von Reformprozessen, nationale Identität und Pfadabhängigkeiten: Die Eigenlogik von institutionellen Veränderungen ist hoch. Goldene Phasen der gesellschaftlichen Entwicklung, bei denen die Politik Zuwächse verteilt, wechseln sich mit Strukturumbrüchen ab, bei denen der Rahmen für wirtschaftliche Aktivitäten neu bestimmt und zwischen Bevölkerungsteilen umverteilt wird. Kontinuitäten von relevanten Trends und Entwicklungslinien können nach Jahren und Jahrzehnten Wendepunkte aufweisen. Nationale Identitäten sind von Traditionen und Besonderheiten geprägt, die Jahrhunderte und mehr zurückliegen, wie das römisch-griechische Fundament der europäischen Zivilisation. Jede Reform ist ein außerordentlicher Balance- und Kraftakt, bei dem heutige Kosten einem eventuellen zukünftigen Nutzen gegenüberstehen. Die Berücksichtigung von Tradition, Mentalität und Kultur senkt die Kosten von Reformen und das unvermeidliche Risiko ihres Misslingens, weshalb erfolgreiche Reformen entlang institutioneller Pfadabhängigkeiten entstehen und die Erfahrungen anderer Länder in den seltensten Fällen direkt übernommen werden können. 

Globale und nationale Paradigmenwechsel und institutionelle Wendepunkte: Industrielle Revolutionen verändern die Art und Weise des Wirtschaftens. Die Auslagerung von arbeitsintensiven Tätigkeiten aus den Industrieländern in Entwicklungs- und Schwellenländer hat zu einer neuen globalen Arbeitsteilung geführt und eine Milliarde Beschäftigte in globale Märkte. Andere Makrotrends sind die Ausbreitung der Informationstechnologien, die Urbanisierung, die globale demographische Revolution und viele andere. 




Nehmen wir als Beispiel die Mongolei, um die Möglichkeiten und Grenzen des Transformationsindex zu zeigen. Der Statusindex liegt bei 6.47 (1-10, Platz 40 von untersuchten 129 Ländern), die politische Transformation bei 7.15 (#34), die ökonomische Transformation bei 5.79 (#59) und der Management Index 6.26 (#23). Insgesamt besteht ein ausgeglichenes und sehr positives Bild des Transformationsprozesses für ein Land, dass vor zwei Jahrzehnte abhängig von Entwicklungshilfe war und bei dem die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht in moderne Wirtschaftskreisläufe integriert war. Bedeutet dies, dass die Mongolei ein Land mit einem herausragenden politischen Management ist, dass Inspiration zeigt und ein Beispiel für andere Länder sein könnte? 

Die Indexe verbergen eine außergewöhnliche Dynamik. Sie zeigen nicht, welche Treiber ursächlich für die positive Dynamik verantwortlich zeichnen. Regierungsführung, Demokratisierung und marktwirtschaftliche Reformen sind Faktoren einer komplexen Entwicklung. Das gegenwärtige institutionelle Ökosystem ist von Zerreißproben geprägt. Auf die folgenden Entwicklungen kann verwiesen werden:

Einbettung in die globale Wertschöpfungspyramide: Ein Drittel der Bevölkerung lebt bis heute in oder nahe der Subsistenzwirtschaft. Die Wertschöpfung und die Wachstumsaussichten von traditionellen Aktivitäten wie der Viehzucht und der Landwirtschaft sind bei hohen, klimabedingten Risiken gering. Selbst die jahrzehntelange Unterstützung durch internationale Geber hat zu keiner nachhaltigem und wettbewerbsfähigen Dynamik geführt. Es ist keine Überraschung, das seit dem Zerfall der Sowjetunion die marktwirtschaftlichen Reformen wenig erfolgreich sind, was sich bei der schlechtere Indexierung der wirtschaftlichen Transformation widerspiegelt.
Erst der verstärkte Export von Rohstoffen hat die Mongolei zu einem der am schnellsten wachsenden Länder der Welt gemacht.  

Ressourcenflüsse: Die direkten Auslandsinvestitionen, unter anderem  in die weltgrößte Gold-Kupfer-Mine, übersteigen die nationale Wirtschaftsleistung um das Mehrfache. Die Kapitalisierung der natürlichen Ressourcen ist der mit großem Abstand wichtigste Faktor bei Wohlstand und Wachstum und hat die Mongolei vom einem asiatischen Saudi-Arabien träumen lassen. Der Bergbau schafft hohe Anreize für korruptes Verhalten.
Die Entwicklungshilfe betrug bis zu 40% vor 1990 und bis zu 20 % in den letzten Jahren.

Institutionelle Eigenlogiken: Die Mongolei ist ein Binnenland mit der weltweit niedrigsten Bevölkerungsdichte, wobei sich die Hälfte der Bevölkerung in der Hauptstadt konzentriert. Weitere 6 Millionen Mongolen leben in China, das Doppelte der Titularnation. Für die nationale Identität prägend ist die Selbstbehauptung gegenüber den beiden autoritären Nachbarn, die jeweils eine um den Faktor 50 und 500 größere Bevölkerung und Wirtschaftskraft verfügen. Dies hat zum Aufbau einer Kernkompetenz im Erzielen von Kompromissen und dem Lavieren mit stärkeren Partnern beigetragen. Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft beim Aufbau von demokratischen Traditionen und der Initiierung von marktwirtschaftlichen Reformen ist signifikant. Erste Bewährungsproben bei Machtwechseln und der Korruptionsbekämpfung wurden erfolgreich bestanden.

Paradigmenwechsel: Der globale Rohstoffzyklus neigt sich dem Ende, wodurch die Preise für mongolische Exportgüter wie Kupfer Gold und Kokskohle sinken können. Mit wachsendem Wohlstand wird sich die internationale Gemeinschaft aus der Mongolei zurückziehen. Das Gefälle zwischen Subsistenzwirtschaft und modernem Bergbau sowie zwischen der Haupstadt Ulaanbaatar und dem Rest des Landes ist enorm und zunehmend Quelle von politischen Spannungen. Die Logik der holländischen Krankheit erschwert eine Diversifizierung der Wirtschaft. Jede unternehmerische Tätigkeit ist vom spezifischen Kosten-Nutzen-Profil von Aktivitäten im Bergbau und den angrenzenden Dienstleistungen konfrontiert und letztlich damit auch limitiert.

Die wichtigsten Herausforderungen für Demokratie und Entwicklung der Marktwirtschaft sind der Ressourcenfluch und die Konfrontation mit der traditionellen Subsistenzwirtschaft. Bei der Kompensation des Ressourcenfluches gibt es inzwischen umfangreiche Erfahrungen, aber selbst ein entwickelter Staat wie Norwegen kann einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit nicht vermeiden. Auch die Unterschiede in der traditionellen Lebensweise und den Anforderungen einer wissensbasierten Wirtschaft können nicht in wenigen Jahren überwunden werden, wie die schnell wachsenden Slums um die Hauptstadt zeigen. Kann Demokratisierung und können marktwirtschaftliche Reformen helfen? Patentrezepte sind nicht bekannt. Es bedarf eines aufwändigen Such- und Findungsprozess, der sich über Generationen hinziehen wird. Ohne dass dabei Rückschlüsse auf die Qualität der Regierungsführung getätigt werden können ist eine Verschlechterung des Transformationsindexes und seiner Komponenten in den kommenden Jahren weit eher zu erwarten als eine Verbesserung der bestehenden Spitzenposition.


Vorschläge für die Verbesserung des BTI

1.     Darlegung der Annahmen und Bezugnahme zur aktuellen Diskussion bei Fragen von Demokratie, marktwirtschaftlichen Reformen und der wirtschaftlichen Dynamik durch Verweise auf aktuelle Diskussionen und Veröffentlichungen. Beispielsweise umfasst eine Literaturübersicht der Weltbank Forschungsergebnisse, bestätigte und unbestätigte Annahmen zum Verhältnis von Wachstum und Ungleichheit.
2.     Vorhersage zur Dynamik der Indexe: Der Erkenntniswert von falschen Prognosen ist höher als der Verzicht auf Analyse.
3.     Vernetzung mit sozialen Netzwerken, Blogs, Feedback- und Diskussionsfunktionen sowie Lese- und Linklisten, um den Nutzen für die Zielgruppen zu stärken.


Eine Übersicht globaler Indexe:

1.     Climate Change Performance Index
2.     Corruption perception Index
3.     Democracy Index
4.     Depth Index of Globalization
5.     Doing Business Index
6.     Earth Security Index
7.     Economic Complexity Index
8.     Economic Inequality index
9.     Economic Opportunity Index
10.  Education Index
11.  Environmental Performance index
12.  E-Friction Index
13.   Failed State Index
14.   Financial Secrecy Index
15.   Gender Inequality Index
16.   Gini coefficient
17.  Global Age Watch Index
18.  Global Connectedness Index
19.  Global Entrepreneurship Monitor
20.  Global Fragility Index
21.  Global Gender Gap Index
22.  Global Hunger Index
23.   Global Innovation Index (Boston Consulting Group)
24.   Global Innovation Index (Bloomberg)
25.   Global Innovation Index (Cornell University, INSEAD, WIPO)
26.  Global Peace Index
27.   Global Slavery Index
28.  Human Development Index
29.  Human Opportunity Index
30.  Index of Global Philanthropy and Remittances
31.   Index of Economic Freedom
32.   Index of State Weakness
33.   Millennium Development Goals
34.   Multidimensional Poverty Index
35.  OECD Better Life Index
36.  PISA
37.  Women’s Economic Opportunity Index (The Economist)
38.  World Press Freedom Index
39.  Worldwide Index of economic freedom (fraser Index)




[1] So sind laut Berechnungen des Bureau of Labour Statistics die Preise für Fernseher bei vergleichbarer Qualität seit 1980 um den Faktor 20 gesunken und die Kosten von Bildung um den Faktor 7 gestiegen.